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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Schrey, Rudolf: Tizians Gemälde "Jupiter und Kallisto" bekannt als "Die himmlische und irdische Liebe"
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0294

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5Ö9

Tizians Gemälde »Jupiter und Kallisto« bekannt als »Die himmlische und irdische Liebe

570

chem Geschlechte sie angehören. Rechts im Hinter-
grund ein Dorf, von einem Turm überragt, an der
Ausbuchtung eines Flusses gelegen, weiter nach vorne
zwei Reiter, von denen der linke anscheinend einen
Falken auf der Faust hält, die beiden Hunde der Jäger
haben ein Häschen aufgeschreckt, das der von einem
Hirten behüteten Schafherde zuflieht, bei der sich auch
am Rande des Gehölzes ein Liebespaar niedergelassen.
Links Berge von mäßiger Höhe, nach rechts flacht
sich das Land gegen das im Hintergrund sichtbare
Meer ab. Es ist die Zeit zwischen Licht und Dunkel,
daß es nicht morgens, sondern abends ist, nimmt die
Mehrheit an.

Auf dem Bilde fesseln überhaupt nur die zwei
Frauengestalten, und es ist das Geheimnis des er-
habenen Genius, welche Fülle von Gefühlen uns von
denselben entgegenströmt. Vor ihnen wird auch
der nüchternste Beschauer zum Nachdichter, und nie
können Gebärden und Blicke ganz ausgeheimnißt
werden. Die fast Hüllenlose verheißt der anderen,
nur noch halb Zagenden, ungeahnte Wonnen, und
daß dies nicht vergeblich sein wird, kündet uns
Amor, der in kindischer Freude mit seinen Händchen
im Wasser plätschert. Ja, es ist eine »Überredung
zur Liebe«, doch brauchen wir nicht den Glücklichen
zu suchen, für den die Göttliche wirbt, den Preis
ihrer Überredung will sie selbst einheimsen. Ein ge-
wagtes Wort, doch in den Fabeln der Götterlieb-
schaften ist kein Ding unmöglich. Von Juno eifer-
süchtig bewacht, versteht es doch Jupiter durch An-
nahme der verschiedensten Gestalten, seine Gattin und
die von ihm zu Betörenden zu täuschen, und gehen
wir nun diese zahlreichen Götterliebschaften an der
Hand von Ovids Verwandlungen durch, können wir
unschwer die Unterlage für die Schöpfung Tizians
nachweisen. Ovid berichtet, daß Jupiter, um sich der
jungfräulichen Kallisto nahen zu können, die Gestalt
Dianens annahm, der von Kallisto hochverehrten Göttin
der Jagd, in deren Gefolge sie, des arkadischen Königs
Lykaons Tochter, gleichsam als Gastnymphe, pürschte.
Das Gemälde behandelt also die Geschichte von Jupiter
und Kallisto, genauer, doch weitläufiger ausgedrückt
müssen wir es nennen: »Jupiter in Gestalt Dianens
naht sich Kallisto.«

Nur noch das kurze Beweisverfahren. Schälen
wir die Begebenheit aus Ovids blumigem Wort-
reichtum heraus, wird uns dies kund: Kallisto, die
eifrige Jägerin und Dianens Liebling, betritt bei Sonnen-
untergang eine Waldung; Jupiter, sie müde und un-
bewacht sehend, naht sich ihr in Gestalt Dianens,
und so gelingt es ihm, sie zu betören. Juno rächt
nach Monden ihre beleidigte Gattenehre grausam, denn
sie »ergriff an der Stirn ihr die Locken und warf sie
vorwärts hin auf die Erde«: Kallisto nimmt allmählich
die unförmige Gestalt einer Bärin an; als solche irrt
sie umher und ist eines Tages in Gefahr, von ihrem
und Jupiters Sohn Arkas getötet zu werden, doch
Jupiter erbarmt sich beider und stellt sie in die Reihe
der Gestirne, dort werden sie als großer und kleiner
Bär nachbarlich vereint. So Ovid. Prüfen wir die
Nachdichtung Tizians, so sehen wir links Kallisto der

Burg ihres Vaters zusprengen, dann sitzt sie am er-
quickenden Born, müde von der Jagd und bedürftig
des Bades, das Gefäß1) unter ihrer Linken birgt wohl
die duftenden Salben, die schweren Handschuhe sind
die einer Jägerin oder Falknerin; Jupiter hat sich zu
ihr gesellt in Gestalt der von ihr verehrten Diana.
Das Gefäß in der Linken Jupiters, dem eine Flamme
und Rauch entsteigt, ist vielleicht das ungewöhnlich
dargestellte Zeichen Lunas, denn Luna, die Mond-
göttin, und Diana verschmelzen häufig zu einer Person.
Die angedeuteten reliefartigen Darstellungen führen
uns die Rache Junos vor, links reißt Juno Kallisto
bei den Haaren vom Pferde, rechts hat die Göttin
Kallisto züchtigend zu Boden geworfen, und schon
nimmt ihr Körper unförmige Gestalt an, zwei Nymphen
sehen erschreckt zu. Rechts blicken wir in arkadische
Fluren, mit Jägern und einem Schäferidyll.

Es drängt sich nun nach diesen etwas trockenen
Betrachtungen die nachschöpfende Phantasie vor, und
sie wollen wir zu ihrem Rechte kommen lassen. Eine
leidenschaftliche Verehrerin des Waidwerks, ganz ein-
genommen von ihrer Liebhaberei, weist die drängende
Bewerbung eines zu ihr in Liebe Erfüllten ab, doch
dann, da sie ersehen, daß auch er ein eifriger Jäger,
führt sie eben diese Leidenschaft ihm zu. Konnte es
für die Hochzeit dieser Verehrerin Dianens ein sinnigeres
Geschenk geben, als diese Schöpfung Tizians, die,
vielleicht noch unterstützt durch ein an Anspielungen
reiches Hochzeitsgedicht, in die »Rettung eines ovidi-
schen Opfers« ausklang. —• Es müssen vornehme und
reiche Venetianer gewesen sein, denn allem Anscheine
nach hat der oder haben die Besteller zwei der be-
deutendsten jungen venetianischen Maler, Tizian und
Jacopo Palma, zu einem Wettbewerb veranlaßt; den
Sieg errang Tizian2). Das Juwel von Tizians Hand
ist uralter Besitz der Galerie Borghese in Rom, das
Gemälde Palmas, zu den besten Werken des Meisters
zählend, wurde 1907 für das Städelsche Kunstinstitut
in Frankfurt a. M. erworben. Die Maße beider Ge-
mälde sind merkwürdig übereinstimmend, und beide
sind wohl als Füllungen für einen bestimmten Platz
vorgesehen.

* *
*

Vorstehendes habe ich schon am 6. März 1908
in einer Frankfurter Tageszeitung ausgeführt; da man
auf diesem Wege aber nur in den Genuß einer ein-
tägigen Berühmtheit und noch dazu nur in dem be-
treffenden Landkreis gelangt, das Rätselraten vor dem

1) Eine Laute, die manche darin erkennen wollen, kann
sicher nicht auf diese Weise am schmalen Brunnenrand
im Oleichgewicht erhalten werden, außerdem finden wir
ein gleiches Gefäß in den Händen der Samariterin am
Brunnen auf dem Kupferstich von Giulio Campagnola
(Kristeller 2).

2) Bekannt ist der Wettbewerb zwischen Tizian, Palma
und Pordenone um das Altarbild für die Bruderschaft vom
heil. Petrus Martyr für dessen Altar in der Kirche S. Gio-
vanni e Paolo in Venedig, aus welchem der erstere als
Sieger hervorging; die oben ausgesprochene Vermutung
ist daher nicht fernliegend.
 
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