mersen auf dem Programm stehen, versteht sich von selbst. Irgend--
welche tiesere Fernwirkungen, vor allem praktischer Art, haben diese
Kongresse nicht und sollen sie nicht beanspruchen. Sie sind im gün?-
stigsten Falle eine schöne und dem alten deutschen Wandertrieb ent-
sprechende Linrichtung für die Vertreter der kleinen musikwissenschast-
lichen Kreise, sich einmal wiederzusehen und gegenseitig anzuregen,
neue Bekanntschasten zu schließen, schöne alte Musik in meist stil-
voller Wiedergabe zu hören und die Ohren vor der Musik der Gegen-
wart hübsch zuzuschließen.
Äberhaupt ist's mit den Wirkungen der Musikwissenschast aus die
Praxis betrüblich bestellt. Stilistisch richtige Interpretationen alter
Musik gehören noch immer zu den Seltenheiten und die Praktiker
halten sich vor der „Stilsexerei" der gelehrten Herren erst recht die
Ohren zu. Nur in ganz vereinzelten Fällen und nur von musik-
wissenschastlich gebildeten Dirigenten wird sür Instrumentalkonzerte
das eine oder andre, in den „Denkmälern" schlummernde Stück her-
vorgeholt. Kirchen- und weltliche Chöre und einzelne hochgebildete
Organisten haben viel ergiebiger und geschickter aus den Schätzen
der alten Musik ausgewählt. Nach wie vor aber harren Riemanns
ausgezeichnetes „LollsZium mu8ienm" und Riemanns, Leichtentritts
und Barclay Squires Sammlungen von Perlen alter Vokalkunst,
harren die großen alten Meister des Klavierspiels der Auserstehung.
Nach wie vor werden Bach und Händel nach stilloser „Tradition"
im Leipziger Gewandhaus lieblos zu Tode gehetzt, nach wie vor in
Konservatorien die heute längst überholten stillosen Ausgaben alter
Klaviermusik unter Einschluß Bachs und Händels, Bülows unhaltbare
„Scarlatti-Suiten" benutzt, Ausgaben, die längst veraltet sind; nach
wie vor bleiben die Streitsragen der stilistisch gesorderten Wieder-
einführung des Cembalo in der alten Musik oder eines modernen
Absatzes, der chorischen Bläser-Besetzung in alten Orchestersützen
unerörtert oder unbeachtet; nach wie vor geben selbst große Zei-
tungen ost den mangelhaft gebildeten Kritikern, sofern sie nur Pro-
sessoren der Musik oder Musikdirektoren oder „gediegene Pädagogen"
sind, den Vorzug vor Akademikern und haben keine Ahnung, welche
Ziele und Zwecke eine gute Musikkritik an großen Tageszeitungen,
welche Verantwortung sie hat und welchen segensreichen Linfluß sie
haben kann. Aus solche Plätze gehören zu allererst jüngere tüchtige
Musikwissenschastler. Hier, mitten im musikalischen Leben stehend,
dessen gerechte und unabhängige Beurteilung sie unmerklich zu
charaktervollen Menschen heranbildet, werden sie am schnellsten die
abstrakten Gedankenschlacken papierner Wissenschaftsbehandlung ab-
streifen, werden sie aus der Praxis für die Praxis lernen und ihr
erworbenes Wissen und Können am sruchtbarsten verwerten können.
Als Leiter der musikalischen Abteilung einer bedeutenden Tages-
zeitung erhalten sie ein ebenso köstliches wie sür schwache Charaktere
gefährliches Geschenk: die Macht, auf weite Kreise zu wirken, eine
Macht, die ihnen im übrigen mehr oder weniger fehlen muß. Hier
können sie sich in der schwierigen Kunst tummeln, gebildete Bevöl-
kerungsschichten durch Vertiefung ihres Wissens und Verfeinerung
ihres Fühlens unmerklich zu wirklichem Musikverständnis hinzu-
j tz Maiheft tyo? ;Z7
welche tiesere Fernwirkungen, vor allem praktischer Art, haben diese
Kongresse nicht und sollen sie nicht beanspruchen. Sie sind im gün?-
stigsten Falle eine schöne und dem alten deutschen Wandertrieb ent-
sprechende Linrichtung für die Vertreter der kleinen musikwissenschast-
lichen Kreise, sich einmal wiederzusehen und gegenseitig anzuregen,
neue Bekanntschasten zu schließen, schöne alte Musik in meist stil-
voller Wiedergabe zu hören und die Ohren vor der Musik der Gegen-
wart hübsch zuzuschließen.
Äberhaupt ist's mit den Wirkungen der Musikwissenschast aus die
Praxis betrüblich bestellt. Stilistisch richtige Interpretationen alter
Musik gehören noch immer zu den Seltenheiten und die Praktiker
halten sich vor der „Stilsexerei" der gelehrten Herren erst recht die
Ohren zu. Nur in ganz vereinzelten Fällen und nur von musik-
wissenschastlich gebildeten Dirigenten wird sür Instrumentalkonzerte
das eine oder andre, in den „Denkmälern" schlummernde Stück her-
vorgeholt. Kirchen- und weltliche Chöre und einzelne hochgebildete
Organisten haben viel ergiebiger und geschickter aus den Schätzen
der alten Musik ausgewählt. Nach wie vor aber harren Riemanns
ausgezeichnetes „LollsZium mu8ienm" und Riemanns, Leichtentritts
und Barclay Squires Sammlungen von Perlen alter Vokalkunst,
harren die großen alten Meister des Klavierspiels der Auserstehung.
Nach wie vor werden Bach und Händel nach stilloser „Tradition"
im Leipziger Gewandhaus lieblos zu Tode gehetzt, nach wie vor in
Konservatorien die heute längst überholten stillosen Ausgaben alter
Klaviermusik unter Einschluß Bachs und Händels, Bülows unhaltbare
„Scarlatti-Suiten" benutzt, Ausgaben, die längst veraltet sind; nach
wie vor bleiben die Streitsragen der stilistisch gesorderten Wieder-
einführung des Cembalo in der alten Musik oder eines modernen
Absatzes, der chorischen Bläser-Besetzung in alten Orchestersützen
unerörtert oder unbeachtet; nach wie vor geben selbst große Zei-
tungen ost den mangelhaft gebildeten Kritikern, sofern sie nur Pro-
sessoren der Musik oder Musikdirektoren oder „gediegene Pädagogen"
sind, den Vorzug vor Akademikern und haben keine Ahnung, welche
Ziele und Zwecke eine gute Musikkritik an großen Tageszeitungen,
welche Verantwortung sie hat und welchen segensreichen Linfluß sie
haben kann. Aus solche Plätze gehören zu allererst jüngere tüchtige
Musikwissenschastler. Hier, mitten im musikalischen Leben stehend,
dessen gerechte und unabhängige Beurteilung sie unmerklich zu
charaktervollen Menschen heranbildet, werden sie am schnellsten die
abstrakten Gedankenschlacken papierner Wissenschaftsbehandlung ab-
streifen, werden sie aus der Praxis für die Praxis lernen und ihr
erworbenes Wissen und Können am sruchtbarsten verwerten können.
Als Leiter der musikalischen Abteilung einer bedeutenden Tages-
zeitung erhalten sie ein ebenso köstliches wie sür schwache Charaktere
gefährliches Geschenk: die Macht, auf weite Kreise zu wirken, eine
Macht, die ihnen im übrigen mehr oder weniger fehlen muß. Hier
können sie sich in der schwierigen Kunst tummeln, gebildete Bevöl-
kerungsschichten durch Vertiefung ihres Wissens und Verfeinerung
ihres Fühlens unmerklich zu wirklichem Musikverständnis hinzu-
j tz Maiheft tyo? ;Z7