Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1907)
DOI Artikel:
Kalkschmidt, Eugen: Erinnerungen
DOI Artikel:
Batka, Richard: Vom Wechsel der Stimmung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0771

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
obenauf schwimrnt: ein Fettauge auf dünner Suppe. Ibsen selber scheint
in Paulsen mehr den „guten Kerl" als den „Musikanten^ geschätzt zu
haben, was man versteht, wenn man diese Kapitel liest, in denen die
Orden und der Punsch Ibsens entschieden besser wegkommen als einiges
andre, was doch auch zu erinnern wert gewesen wäre.

Georg Brandes sammelt nun auch seine Schriften (München,
Langen) nnd bietet als zwanzigsten Band in Großoktav — Bescheiden--
heit war nie seine schwache Seite — Erinnerungen aus Kindheit und
Iugend. Ach diese alten Literaten! Sie wollen, weil sie doch so groß-
artige Kerle geworden sind, nun möglichst auch dartun, daß sie es „schon
damals" gewesen sind, als ihnen die erste Zigarre beschwerlich ward.
Mir ist Brandes gar zu selbstgefällig im Auskramen von allerhöchst--
eignen Entwicklungsschmerzen und literarischen Steh-- und Gehversuchen.
Der Ertrag an einfacher Menschlichkeit ist herzlich gering gegenüber dem
an weitschweifiger Geistreichigkeit. Am lebendigsten wird Brandes, wenn
er über Paris und die Franzosen von Anno Siebzig spricht. Auch
Taine kommt ausführlich dabei weg: er legte hier und da den Arm
um meinen Hals — was die anwesenden Franzosen in das größte Staunen
versetzte, berichtet Brandes errötend. Stuart Mill besuchte einzig Brandes
in Paris. Äber das deutsche Schauspiel und die deutsche Schauspiel--
kunst von damals urteilt Brandes streng, recht streng, wenn man be--
denkt, daß er über einen Dichter vom Range Hebbels zu Gericht sitzt:
„Das Spiel hob die Geschmacklosigkeit des Stückes hervor. Holofernes
watete im Blut bis über die Stiefelschäfte und prahlte unaufhörlich.
Iudith verliebte sich in seine »Männlichkeit«, und nachdem er sie zur
»Wächterin« seines Schlafes ernannt hatte, ermordete sie ihn infolge
einer lange vergessenen Rücksicht auf den Gott Israels.^ Das also ist
das äfthetisch kritische Nordlicht Skandinaviens, vor dem ehrfürchtig sich
beugen soll, wer zu den Rittern vom Geist gehören will? Wozu er-
richten wir dummen, rückständigen und aufgeblasenen Deutschen solchen
Leuten eigentlich zwanzigbändige Ehrenpforten zum Lintritt in eine geistige
Welt, der sie im Grunde nichts zu geben, aber sehr viel zu danken haben?
Dresden EKalkschmidt

Vom Wechsel der Stimmung

Es war vor etwa einem Iahre, da sandte man dem Kunstwart
ans Mühlheim a. Rh. das Programm einer Gedenkfeier für Mozart,
auf dem standen außer der C-Moll-Messe noch Brahmsens „Ernste Ge-
sange" und die Bachsche Kantate: „tzalt im Gedächtnis Iesu Christ".
An das Konzert aber schloß sich ein „gemeinsames Abendessen und
Tanzkränzchen", und darüber entrüstete sich der Einsender. Es ver-
letzte seine Feinfühligkeit aufs tiefste, daß dieselben Leute, die
eben noch „des Gottes voll" als Sänger und tzörende in den ernstesten
Gefühlskreisen sich bewegt hatten, ein Viertelstündchen später fröhlich
schmausend oder walzend sich vergnügen sollten. Bewies denn das
nicht, daß jene ernsten Gefühle unecht, unwahr empfunden, kurzum
bloß affektiert waren, vielleicht gar aus der widerwärtigen Berech-
nung heraus, die Fröhlichkeit durch den vorausgehenden Gegensatz
mit doppelter Kraft zu genießen? — So deutete ich mir wenigstens

652 Kunstwart XX, 2^
 
Annotationen