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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

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Heft 15 (1. Maiheft 1907)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0188

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Nundscha»

Zwei Vücher über Fragen
höherer Kultur

Viele werden sich mit mir derBer»
liner Vorlesungen Herman Grimms
nber deutsche Kunst erinnern. Ich
verdanke ihnen manches Einzelne,
einen lebhaften Eindruck von der
frühmittelalterlichen Skulpturepoche
der Freiburger goldenen Pforte —
und dann wieder Dürer und Rem-
brandt.

Aber dies, so wertvoll es mir
war, ist es nicht, um deswillen
ich so oft an diese Vorlesungen
zurückdenke. Doch hing es damit
zusammen. Wie kam es zu so
lebendigen Eindrücken? Ich sehe
ihn, wie er aus dem Katheder, der
sür das Vorzeigen von Kunstblät-
tern wie eine längliche Bühne ge-
baut war, entlang ging. Jn der
Nähe des Fensters faßte er Fuß.
Er hatte die eine Hand in der
Tasche und mit einem verlornen
Blick durch das Fenster erzählte er.
Es war nicht die leidenschaftliche
Teilnahme, mit der Treitschke auf
die Sache eindrang. Es war mehr
ein feines vornehmes Abwägen und
abwägendes Hinstellen. Wie ein
Hinstellen und Plastischwerdenlassen
von Erinnerungen, von Erinne-
rungen an Eindrücke, die er ganz
so in nns überführen wollte, wie
sie ihm einst lebendiger Genuß ge-
wesen waren. Aber dann kam ein
besonderer Tag. Er ging nicht
bis zu seinem gewohnten Fenster-
platz, sondern machte an einem
Stuhle Halt. „Es ist Sitte, meine
Herren," sagte er, „daß man einige
Daten gibt; obwohl Sie die zur
Aot auch zu Hause exzerpieren könn-
ten. Genug, wir kommen also heute
zu den Daten! Bitte notieren Sie
sich" — inzwischen hatte er eine
riesige Brille hervorgezogen, die er

! 152 _

sich über die Nase hängte — „ich
habe mir hier einiges sür Sie
abgeschrieben, also notieren Sie" —
dabei entfaltete er ein Manuskript
und fuhr darin herum — „Albrecht
Dürer ist geboren vierzehnhundert --
wo ist es gleich? — vierzehnhundert-
einundsiebzig."

„Wenn Sie eine Doktorschrift
zu machen haben — es gibt ja
Gelegenheiten und ganze Berufe,
wo das nötig ist," sagte er einmal
zu uns, „so sehen Sie sich erst
an, wie so ein Ding aussehen
muß. So etwas kann man von
selbst nicht wissen. Da müssen
unten eine viertel bis halbe Seite
lang kleingedruckte Anmerkungen
stehen." Ich kann mich für die Worte
nicht verbürgen. Ich gebe nur den
Eindruck; und es ist zwanzig Iahre
her. Von da aus, wohin seine
Ironie traf, kamen sehr ungeschlis-
sene Antworten. Lübke, der große
Verwüster des deutschen Kunstver-
ständnisses, schrieb damals in die
Einleitung seiner Neuausgabe des
Schnaaseschen Werkes eine unge-
zogene Notiz, mit der er hinter
Schnaases Autorität kroch.

Sei dem übrigens, wie ihm
wolle, — ich möchte die etwas
„legere" Art Herman Grimms gar
nicht zur Nachahmung empfehlen

— aber er war der Mann des
lebendigen Gesühls, und das über-
trägt sich leichter als der tote Kram

— mir kam sein Bild, wie er am
Fenster stand und hinaussah, als
ich die nachsolgende Stelle in einem
neuen Buche las:

„-aber über Shakespere?

— Ich hörte eine Vorlesung über
seine Lustspiele; es werden sie heute
noch Hunderte hören. Darin er-
örterte der Professor zuerst die Aus-
sprache Shakesperes Wochen hin-

Kunstwart XX, ^
 
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