durch. Als Belohnung für diese
unerhörte Langweile teilte er uns
dann den Monolog der Portia aus
dem Kaufmann von Venedig in
der Rraussprache mit. Es folgten
ermüdende Belehrungen über die
Folio- und Quartoausgaben, über
Shakesperes äußeren Lebensgang
und zum Schluß eine für das Exa-
men brauchbare Inhaltsangabe der
Lustspiele, die dem Kandidaten die
Mühe ersparte, diese selbst zu lesen."
Friedrich von der Leyen hat
in dem Büchlein, aus dem ich diese
kleine Lharakteristik einer modernen
Universitätsvorlesung über ein
Kunstthema angeführt habe („Deut-
sche Universität und deutsche
Zukunft", Iena 1906), mit gutem
Griff ein Moment herausgeholt,
das heute wohl ein Haupthindernis
für jede Kultur ist, die weiter oder
tiefer geht, als bis zu Lechnischem
und Wissenschastlichem, die Stel-
lungnahme der Ilniversitäten zu den
Lebensfragen. Das tapfere und
reiche — wenn auch etwas ungleich
geschriebene — Heft wird manches
Problem neu klären oder neu be-
leuchten helfen.
Wie sehr wir, wenn wir heute
an diese Generation nach den Krie-
gen, an dieses stetige Weitersinken
der Kultur — wie das Leyensche
Buch es schildert — zurückdenken,
an Nietzsches erstes Auftreten er-
innert werden, der als einer der
ersten diese Folge der Siege wit-
terte: „Macht verdummt!"
Iulius Kaftan hat am Schlusse
eines sehr feinen Buches über Nietz-
sches philosophisches System („Aus
der Werkstatt des Abermen-
schen", Heilbronn 1906) eine ein-
dringende Skizze darüber gegeben,
aus welchen Wurzeln Nietzsches gei-
stiges Sein gewachsen ist. Es ist
das sehr interessant und auch wie-
der ein Beispiel zu dem, was neu-
lich über das „Ähema Kunst und
Leben"* gesagt wurde. Nietzsche
ist ja sicherlich in erster Linie Künst-
ler und erst in zweiter oder dritter
Wissenschaftler gewesen.
Indessen handelt es sich hier
noch um etwas anderes, das eben-
falls auch uns angeht. Die meisten
Kritiker Nietzsches sind der Mei-
nung, mit der Aufweisung eines
fundamentalen Widerspruchs ihn
widerlegt zu haben. Aber das be-
kannte und berühmte Wort Konrad
Ferdinand Meyers, das er Hutten
in den Mund legt:
„Ich bin kein ausgeklügelt Buch,
Ich bin ein Mensch mit seinem
Widerspruch"
reicht viel weiter als vielleicht
seinem Autor selber bewußt war.
Das „Ausgeklügelte" mag einfach
sein, es mag gerade aussehen und
ein System bilden können, das
Lebendige wächst zwischen „Wider-
sprüchen" und kann ohne sie so
wenig bestehen, als der Blitz ohne
die Gegeneinanderwirkung der Pole.
Diese Polarität oder, könnte man
sagen, Zweigeschlechtigkeit der Wahr-
heit wird vom einzelnen Menschen,
in dem sie ist, sehr verschieden emp-
funden. Am häufigsten wohl in
dem etwas trivialen Gegensatz von
Ideal und Wirklichkeit. Ging in
dem besonderen Fall Nietzsche nicht
auch einfach eine allgemeine starke
Kulturwendung unseres Volkes mit-
ten durch ihn? Es sind ja gerade
* Im Anschluß hieran sei mit-
geteilt, daß Bonus eine kleine
Sammlung Thackeraybriefe, die
eben bei L. H. Beck in München
erschienen ist („Das braune Haus",
übersetzt von Lecilie Mettenius) mit
einer Einleitung begleitet hat, in
welcher die Gedanken jenes Kunst-
wartabschnittes weiter verfolgt sind.
Die Briefe Thackerays sind außer-
ordentlich liebenswürdig. A
(. Maiheft (907
(53 j
unerhörte Langweile teilte er uns
dann den Monolog der Portia aus
dem Kaufmann von Venedig in
der Rraussprache mit. Es folgten
ermüdende Belehrungen über die
Folio- und Quartoausgaben, über
Shakesperes äußeren Lebensgang
und zum Schluß eine für das Exa-
men brauchbare Inhaltsangabe der
Lustspiele, die dem Kandidaten die
Mühe ersparte, diese selbst zu lesen."
Friedrich von der Leyen hat
in dem Büchlein, aus dem ich diese
kleine Lharakteristik einer modernen
Universitätsvorlesung über ein
Kunstthema angeführt habe („Deut-
sche Universität und deutsche
Zukunft", Iena 1906), mit gutem
Griff ein Moment herausgeholt,
das heute wohl ein Haupthindernis
für jede Kultur ist, die weiter oder
tiefer geht, als bis zu Lechnischem
und Wissenschastlichem, die Stel-
lungnahme der Ilniversitäten zu den
Lebensfragen. Das tapfere und
reiche — wenn auch etwas ungleich
geschriebene — Heft wird manches
Problem neu klären oder neu be-
leuchten helfen.
Wie sehr wir, wenn wir heute
an diese Generation nach den Krie-
gen, an dieses stetige Weitersinken
der Kultur — wie das Leyensche
Buch es schildert — zurückdenken,
an Nietzsches erstes Auftreten er-
innert werden, der als einer der
ersten diese Folge der Siege wit-
terte: „Macht verdummt!"
Iulius Kaftan hat am Schlusse
eines sehr feinen Buches über Nietz-
sches philosophisches System („Aus
der Werkstatt des Abermen-
schen", Heilbronn 1906) eine ein-
dringende Skizze darüber gegeben,
aus welchen Wurzeln Nietzsches gei-
stiges Sein gewachsen ist. Es ist
das sehr interessant und auch wie-
der ein Beispiel zu dem, was neu-
lich über das „Ähema Kunst und
Leben"* gesagt wurde. Nietzsche
ist ja sicherlich in erster Linie Künst-
ler und erst in zweiter oder dritter
Wissenschaftler gewesen.
Indessen handelt es sich hier
noch um etwas anderes, das eben-
falls auch uns angeht. Die meisten
Kritiker Nietzsches sind der Mei-
nung, mit der Aufweisung eines
fundamentalen Widerspruchs ihn
widerlegt zu haben. Aber das be-
kannte und berühmte Wort Konrad
Ferdinand Meyers, das er Hutten
in den Mund legt:
„Ich bin kein ausgeklügelt Buch,
Ich bin ein Mensch mit seinem
Widerspruch"
reicht viel weiter als vielleicht
seinem Autor selber bewußt war.
Das „Ausgeklügelte" mag einfach
sein, es mag gerade aussehen und
ein System bilden können, das
Lebendige wächst zwischen „Wider-
sprüchen" und kann ohne sie so
wenig bestehen, als der Blitz ohne
die Gegeneinanderwirkung der Pole.
Diese Polarität oder, könnte man
sagen, Zweigeschlechtigkeit der Wahr-
heit wird vom einzelnen Menschen,
in dem sie ist, sehr verschieden emp-
funden. Am häufigsten wohl in
dem etwas trivialen Gegensatz von
Ideal und Wirklichkeit. Ging in
dem besonderen Fall Nietzsche nicht
auch einfach eine allgemeine starke
Kulturwendung unseres Volkes mit-
ten durch ihn? Es sind ja gerade
* Im Anschluß hieran sei mit-
geteilt, daß Bonus eine kleine
Sammlung Thackeraybriefe, die
eben bei L. H. Beck in München
erschienen ist („Das braune Haus",
übersetzt von Lecilie Mettenius) mit
einer Einleitung begleitet hat, in
welcher die Gedanken jenes Kunst-
wartabschnittes weiter verfolgt sind.
Die Briefe Thackerays sind außer-
ordentlich liebenswürdig. A
(. Maiheft (907
(53 j