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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

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Heft 15 (1. Maiheft 1907)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0179

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nächstens neben jedes Vogelnest eine Nachtlampe hängen werden, damit
die Vögel sich im Dunkeln nicht fürchten."

Als die andern sich zurückgezogen hatten, saßen Thilo und Felix
noch eine Weile beisammen und rauchten. Sie hatten sich nicht viel
zu sagen.

„Du bist wohl froh, wieder zu Hause zu sein", warf Thilo hin.

„Ia — o ja!" erwiderte Felix. Er hatte Lust, mehr zu sagen,
diesem Manne, der alles wußte, den sie alle bewunderten und dem sie
recht geben, von sich zu sprechen. „Obgleich —begann er zögernd,
„wenn das Leben einmal gewaltsam gestört ist, dann ist es nicht leicht,
daß es gleich wieder — einfach — selbstverständlich wird."

Thilo warf seine Zigarette in den Kamin und stand auf.

„Selbstverständlich?" wiederholte er. — „Nein — das wird es wohl
uicht sein. And warum sollte es das auch? Gute Nacht."

„Nnangenehmes altes Orakel" — brummte Felix ihm nach.

Es war Felix, als rückte er von dem Leben seines Hauses weiter
fort. Wenn er von draußen hereinkam, fand er, daß die andern sich
gut unterhielten. Annemarie spielte vierhändig mit ihrem Vater oder
man saß auf der Veranda und setzte ein Gespräch fort, dessen Anfang
er nicht gehört hatte, man lachte über Scherze, die gemacht worden waren,
als er nicht da war. Am Vormittage saßen Annemarie und Thilo im
blauen Zimmer und lafen Dante. Wenn er kam, hielten sie im Lesen
inne, er wurde nach der Wirtschast gefragt, nach dem Wetter. Anne-
marie war freundlich, wie wir es sind, wenn wir uns glücklich fühlen.
„Warum bist du nicht bei uns, Lieber? Ach, die dumme Wirtschaft!"
sagte sie zerstreut. Die Mahlzeiten kamen, die Patience, die Nachtigall,
Felix war einsilbig. Was half es, etwas zu sagen, wenn Thilo ihn
unterbrach, um etwas zu sagen, das die andern viel besser fanden?

Wenn er in seiner Wirtschaft umherging, trieb es ihn immer
wieder an das Gartengitter. Er sah Annemarie und Thilo die Wege
entlang gehn, vor den Blumen stehen bleiben. Thilo sprach, und Anne-
marie bog den Kopf zurück, um ihn anzusehen. Sie lachten. Felix
versuchte es, ihnen nah zu kommen, zu hören. Er versteckte sich hinter
Büsche, selbst ganz erstaunt darüber, daß er das tat. Annemarie stellte
sich unter die ObsLbäume, die voller Blüten, wie Alabasterkuppeln sich
über sie wölbten. Sie lächelte ihr sorgloses Lächeln, wiegte sich leicht,
wie berauscht von all dem Weiß. „Ietzt kommt er!" rief Thilo. Es war
der Wind, der kam. Er fuhr in die weißen Wipfel. Die Vlüten-
blätter regneten dicht auf Annemarie nieder. Sie bog den Kopf zurück,
stieß einen kleinen Schrei aus. Die Blätter fielen über ihr Gesicht,
hingen sich in ihr Haar. Thilo stand dabei, den Bart voller Kirsch-
blüten, schlug seine schweren Augenlider auf und sah das Bild vor sich
mit wohliger Verträumtheit an. Er hatte sich dieses Spiel erdacht, nannte
das Blütenbäder, die er Annemarie verordnet hatte.

Felix wandte sich ab und ging auf das Feld. Er setzte sich an
den Wegrain. Vor ihm pflügte ein alter Mann mit einem alten Pferde
Wickenland auf. Blank und schwer legten sich die Erdschollen um. Das
Pferd und der Mann gingen müde und faul immer wieder das Stück
Acker auf und ab. Das Land lag still unter der Mittagssonne da.
Mitten im Felde blühte eine Weide, ganz bedeckt von weiß und gelben

l. Maiheft M? L-LZ
 
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