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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

DOI issue:
Heft 16 (2.Maiheft 1907)
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R. S.: Stuck
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0244

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Lrnpfindung und Stimmung darin, was gegeben wird, ist mit
künstlerischem Gefühl und Bedacht, ist mit Lust und mit Liebe ge-
arbeitet. Die „Formensprache der Neuzeit" dagegen ist trotz aller
Technik, Ansnahmen immer zugestanden, im allgemeinen arm und
tot. Fehlen die Menschen, die Leben in sich tragen? Nein, das
wäre zu viel gesagt: Die Möglichkeit fehlt für die, welche ur--
sprüngliches Leben in sich tragen, im Baugewerbe naiv zu gestalten,
denn man will Protzenkunst, schnell und billig. So verzichten
Architekten von Geschmack vielsach auf Stuck überhaupt. Dahin mußte
es kommen, denn keine Sünde bleibt ungestrast. Und wie die Ver-
hältnisse liegen, wagt man nicht einmal zn sagen, sie schütteten so
das Kind mit dem Bade aus.

Gewiß: in ästhetischer Hinsicht ist die auf alles dekorative Bei-
werk, welches oft nnr architektonische Schwächen verdecken muß, ver-
zichtende Architektur sehr oft ein Fortschritt, und jedensalls ist sie
besser, als eine Architektur mit schlechter Dekoration. Vielleicht muß
die Mehrzahl der Menschen erst wieder lernen, was gute ist, ehe
auch sie sich überhaupt wieder an ein Dekorieren wagen kann, das
ja so leicht verdirbt und niemals eigentlich unentbehrlich ist. Wäre
aber anch die edle, wohlangebrachte Plastik, wäre ein die weite
Fläche wirklich belebendes reizendes Rankenspiel, wenn man sie
beschassen könnte, etwas Verwersliches?

Ietzt meinen viele, es käme bei reicheren Bauten auf ein edles
Material allein an. Ist nicht auch das ein Protzentum? Kann
es nicht wenigstens dazu führen? Wie ost sagt kostbares Material
nichts weiter, als daß der Bauherr Geld hat. Aber die Form, die
Leben ist, erfreut durchs Ange mein Herz, und ist also doch wohl
berechtigt, anch wenn sie nur ein heiteres Äberspielen, und auch,
wenn sie nur in gewöhnlichem Mörtel gebildet ist.

Die ihr nicht wißt, was Stuck sein kann, geht in alte Fürsten-
schlösser, geht durch die Gassen alter deutscher Städte, trinkt mit
mir in jener alten Wirtsstube dort einen Schoppen Wein, schaut
zu den alten weißgetünchten Stuckdecken empor, in derem Schnörkel-
werk das Gold der sinkenden Sonne spielt, und ihr erkennt es.

Wir haben nicht den mindesten Grund, auf all diese Reize
feinen und beseelten Spiels dauernd zu verzichten. Wir haben
diesen Grund nur so lange, wie die echte Stuckkunst so gnt wie tot
ist. Ietzt ist sie das, sast erstickt durch die mechanische Ausquetscher-
Arbeit langweiligster Ornamente aus immer denselben geschwollenen
Formen und durch das Ankleistern solcher Produkte überallhin, ob
sie paßt oder nicht. Der alte Stuckkünstler sormte mit der Hand
aus lebendigem Gesühle heraus sür jeden Raum anders, für jede
Stelle, wie gerade sie es verlangte, bis seine Arbeit sich über das
Ganze schmiegte wie ein feinst gestimmtes heiteres Kleid, bescheiden
(denn nicht aus das Kleid kam es vor allem an, sondern auf das
Hervorheben und Geltenlassen des bekleideten Körpers), aber doch
ein eigen Kleid mit dem stillen Leben liebevoller Formenweberei.
Besser als die heutige Stuck-Wirtschaft ist sicher gar keine. Wollen
wir aber die alte seine Kunst ganz sterben lassen? Noch ließe sich
das Leben in ihr wieder anfachen. R S


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