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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

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Heft 16 (2.Maiheft 1907)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0259

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fassung darzustellen. Das beste Stück
ist der erste Teil, die Kindheit
Fritz Harts, die mit Ironie und

Satire sehr anziehend geschildert
wird: wohlhabende Bürger mit
alter Tradition, der Vater, drei

alte Iungfern, die als Tanten des
früh verwaisten Knaben Erziehung
leiten, die mittelmäßig und ge-
ringer begabten Geschwister, gute
Freunde, getreue Nachbarn usw.
Gegen die Familie gelingt es Fritz,
„Pfeifer" genannt, auf die Münch-
ner Akademie zu kommen und
Maler zu werden. Hier lernt er
die gleichaltrige Schriftstellerin Ul-
rike Reiner kennen, die gereister

und selbstsicherer ist als er und

ihm auf sein Liebesgeständnis er-
klärt: „Der Mensch, dem ich restlos
angehören könnte, restlos in Not
und Tod, er müßte hinausgegangen
sein ins Leben als mein anderes
Ich und sich selbst und mich in
ihm zurückbringen als ein Sieger."
„Lieben, das nenne ich, sich eins
fühlen mit der wahlverwandten
Seele, so daß zwei Menschen jeden
Gedanken voreinander wissen, weil
sie die Wertungsart des andern
kennen." So geschieht's, er malt ein
von Kritik und Witzblättern ver-
folgtes Bild, welches ihr beweist,
daß sie einander innerlich zuge-
hören; sie geht zu ihm. Der tem-
peramentvolle Äberschwang mit dem
Sophie Hoechstetter diese beiden ihre
Ansichten über Liebe entwickeln läßt,
ist schließlich Sache des ethischen
Geschmacks, jedenfalls wird der Leser
gezwungen, teilzunehmen und mit-
zuleben. Aber ästhetisch stößt zwei-
erlei vor den Kopf. Das ist die
„forsche Art, mit der die Ver-
fasserin Fritzens Sache wie ein
Verteidiger fast zur eignen macht,
wenn sie Nürnberg apostrophierend
schilt, daß es sich „eine falsche Hoch-
renaissance umgebunden" habe, wenn
auf mehreren Seiten Berlin, Ber-

liner und Iournalisten vorgenom-
men werden, wenn in gleicher Weise
in selbständigem Essay das Auto-
didaktentum geschützt wird, und
wenn alle, mit denen Fritz ernst-
haft sich auseinandersetzt, als min-
derwertig erscheinen. Zu oft auch
dominiert das Geistreiche; wer wird
nicht alles im Dialog gestreift: Gab-
riele Reuter, Helene Böhlau, Clara
Viebig, Ibsen, Lurgenjeff, Zola,
Bulwer, Böcklin, Klinger usw., nicht
zuletzt Nietzsche. Bei solchen Ge-
legenheiten werden zuweilen viel-
wollende, „immer müde" Literaten
sehr ergötzlich satirisch geschildert.
So ist das Buch denn schließlich
mehr ein anregender Unterhal-
tungsroman geworden für gebildete
Leute, die viel gelesen haben.

Linzelne stoffliche Parallelen zu
dem genannten Roman finden sich
in Anna Schiebers „Alle guten
Geister. . .", aber der Ausgang und
ihre ArL zu erzählen ist durchaus
anders. Sie ist vorläufig noch mehr
eine Nachahmerin als selbständige
Schülerin Raabes, und so beginnt
sie mit starker Manier, die gern
mit dem Leser ein Einverständnis
herstellt und ihre Menschlein ein
wenig von oben her belächelt;
dazu ist ihr Humor zuweilen ge-
zwungen, so daß der Leser lächeln
soll und doch nicht mag. Im Ver-
lauf der Geschichte ändert sich der
Ton etwas, er wird kräftiger und
selbständiger. Auch Frenssen hat
wohl eingewirkt, besonders die „Ver-
sonnenheit" mit ihrem erwachenden
Sichwundern und Staunen ist ein
sich jetzt gar zu leicht bietendes
Kindheitsrequisit. Es wäre noch
verschiedenes auszusetzen, aber es
kommt im ganzen den „guten
Geistern" des Buches gegenüber
nicht so sehr in Anschlag. Die
Geschichte ist kurz die, daß ein
Iunge mit einer Waise, der En-
kelin des Rektors, zusammen auf-

2. Maiheft V07

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