schen sonst leicht verküminernde rhythmische Gefühl vervollkommnen
muß, das liegt ebenso auf der Hand wie der Nutzen, den eine solche
Vorwegnahme der Elemente des Musikunterrichtes mit sich bringt.
„Im Anfang war der Rhythmus", hat fchon unser Bülow gesagt, aber
nur ein Franzose, ein Angehöriger der rhythmischesten aller Kultur-
nationen konnte auf den Gedanken einer aus dem Rhythmus sußen-
den Erziehung verfallen.
Zu den rhythmischen Reigenspielen gesellen sich in der Genser
Schule nach einiger Zeit Atemübungen, die sowohl beim Gesang
wie bei der Phrasierung überhaupt von Vorteil sind. Nach zwei
Iahren beginnt dann der eigentliche Gesangsunterricht im Vereine
mit der Bildung des Ohres, die durch eine wohldurchdachte Methode
die meisten Kinder in den Besitz eines absoluten Gehöres setzt. Nach
weiteren zwei Iahren wird das Studium des Vortrags und das
Spiel auf Instrumenten vorgenommen. Was Dalcroze schließlich bei
fünszehnjährigen jungen Leuten erreicht, indem er z. B. die letzte
Klasse nach einem auf die Tafel geschriebenen bezifferten Baß vier-
stimmig vom Blatt singen läßt, das möchte man für „Musikerlatein"
halten, wenn es nicht von den glaubwürdigsten Gewährsmännern
bestätigt würde.
Aber nicht in dergleichen Fertigkeiten, mögen sie selbst manchen
ergrauten Musiker beschämen, erblicke ich den Hauptvorzug der Dal-
crozeschen Errungenschaften, sondern darin, daß ein ansehnlicher Teil
gerade des scheinbar trockensten musikalischen Unterrichtes nicht mehr
am Instrument, nicht in dumpfer Stubenluft, also auf Kosten der
Gesundheit, sondern „spielend" durch stählende und schmeidigende Be-
wegung in frischer, freier Luft erledigt wird, daß die Musik von
Kindesbeinen an nicht als eine Sonderangelegenheit des Ohres,
vielmehr des ganzen Menschen angesehen wird und daß dieses
veränderte Verhältnis uns die Musik immer mehr als eine Lebens-
macht, als ein Erlebnis erkennen läßt. Wieviel Zeit, Mühe und
nicht zuletzt wieviel lästiges Geräusch wird erspart, wenn das rhyth-
mische Gefühl nicht erst am Instrumente geweckt werden muß, son-
dern fertig in die Musiklehrstunde mitgebracht wird, wie leicht ver-
steht man viele Musik, wenn man von Iugend an gewöhnt ist, den
Rhythmus der Gebärde als Korrelat einer charakteristischen Musik
auszufassen.
Dalcroze geht in seinen gymnastischen Äbungen allerdings noch
einen Schritt weiter. Er lehrt z. B. den Kindern auch den gebärd-
lichen Ausdruck von Empfindungen und Gemütsbewegungen, Bitten,
Erschrecken, Abscheu, Willkommengruß usw. und bereitet so das Ver-
ständnis dramatischer Musik vor. Nns Deutschen, die im Bereiche
der Gefühlswelt dem Nrsprünglichen stets den Vorzug geben, wird
vor dem Einstudierten solcher Bewegungen, die wir nur als un-
willkürliche oder augenblickliche gelten lassen, recht unbehaglich zu-
mut. Sie schmecken uns nach Komödie. Der Franzose, der sogar
sein Empfinden gern stilisiert, denkt und fühlt in diesem Punkt
eben anders. Dalcroze schließt seinen Kurs mit sogenannten „kalli-
sthenischen Spielen" ab, d. h. mit musikalischen Pantomimen, worin
die plastische Schönheit des gebärdlichen Ausdrucks die Hauptsache
s. Iuliheft G07 ss?
muß, das liegt ebenso auf der Hand wie der Nutzen, den eine solche
Vorwegnahme der Elemente des Musikunterrichtes mit sich bringt.
„Im Anfang war der Rhythmus", hat fchon unser Bülow gesagt, aber
nur ein Franzose, ein Angehöriger der rhythmischesten aller Kultur-
nationen konnte auf den Gedanken einer aus dem Rhythmus sußen-
den Erziehung verfallen.
Zu den rhythmischen Reigenspielen gesellen sich in der Genser
Schule nach einiger Zeit Atemübungen, die sowohl beim Gesang
wie bei der Phrasierung überhaupt von Vorteil sind. Nach zwei
Iahren beginnt dann der eigentliche Gesangsunterricht im Vereine
mit der Bildung des Ohres, die durch eine wohldurchdachte Methode
die meisten Kinder in den Besitz eines absoluten Gehöres setzt. Nach
weiteren zwei Iahren wird das Studium des Vortrags und das
Spiel auf Instrumenten vorgenommen. Was Dalcroze schließlich bei
fünszehnjährigen jungen Leuten erreicht, indem er z. B. die letzte
Klasse nach einem auf die Tafel geschriebenen bezifferten Baß vier-
stimmig vom Blatt singen läßt, das möchte man für „Musikerlatein"
halten, wenn es nicht von den glaubwürdigsten Gewährsmännern
bestätigt würde.
Aber nicht in dergleichen Fertigkeiten, mögen sie selbst manchen
ergrauten Musiker beschämen, erblicke ich den Hauptvorzug der Dal-
crozeschen Errungenschaften, sondern darin, daß ein ansehnlicher Teil
gerade des scheinbar trockensten musikalischen Unterrichtes nicht mehr
am Instrument, nicht in dumpfer Stubenluft, also auf Kosten der
Gesundheit, sondern „spielend" durch stählende und schmeidigende Be-
wegung in frischer, freier Luft erledigt wird, daß die Musik von
Kindesbeinen an nicht als eine Sonderangelegenheit des Ohres,
vielmehr des ganzen Menschen angesehen wird und daß dieses
veränderte Verhältnis uns die Musik immer mehr als eine Lebens-
macht, als ein Erlebnis erkennen läßt. Wieviel Zeit, Mühe und
nicht zuletzt wieviel lästiges Geräusch wird erspart, wenn das rhyth-
mische Gefühl nicht erst am Instrumente geweckt werden muß, son-
dern fertig in die Musiklehrstunde mitgebracht wird, wie leicht ver-
steht man viele Musik, wenn man von Iugend an gewöhnt ist, den
Rhythmus der Gebärde als Korrelat einer charakteristischen Musik
auszufassen.
Dalcroze geht in seinen gymnastischen Äbungen allerdings noch
einen Schritt weiter. Er lehrt z. B. den Kindern auch den gebärd-
lichen Ausdruck von Empfindungen und Gemütsbewegungen, Bitten,
Erschrecken, Abscheu, Willkommengruß usw. und bereitet so das Ver-
ständnis dramatischer Musik vor. Nns Deutschen, die im Bereiche
der Gefühlswelt dem Nrsprünglichen stets den Vorzug geben, wird
vor dem Einstudierten solcher Bewegungen, die wir nur als un-
willkürliche oder augenblickliche gelten lassen, recht unbehaglich zu-
mut. Sie schmecken uns nach Komödie. Der Franzose, der sogar
sein Empfinden gern stilisiert, denkt und fühlt in diesem Punkt
eben anders. Dalcroze schließt seinen Kurs mit sogenannten „kalli-
sthenischen Spielen" ab, d. h. mit musikalischen Pantomimen, worin
die plastische Schönheit des gebärdlichen Ausdrucks die Hauptsache
s. Iuliheft G07 ss?