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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

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Heft 23 (1. Septemberheft 1907)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0730

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Es war eigentümlicher Anblick, wenn die kleine Gestalt mit dem
gewaltigen Haupte mit winzigen Schritten herbeischlürfte und eine ganze
Weile gebrauchte, ehe sie das wie eine Karawanserei ausgedehnte Gast-
zimmer des „Pfauen" durchmaß und sich zu uns setzte — zu Henckell
und mir.

Aus weiter Erinnerung sendet mir Zürich unvergeßliche Erinne-
rungen. Ich weilte dort im Frühling s889 und lernte hier allerlei Wunder
des Weltbürgertums kennen, als da sind: zutunliche, fidele, nicht steif-
leinene' Professoren, einen Italiener in mehrfachem Hausbesitz, der mit
seinen zwei schönen Töchtern im „Pfauen^ geigte und diese dann zum
Tellersammeln durch die Reihen der Gäste schickte, des ferneren Meister
Böcklin, mit dem man am entferntesten Tische bisweilen Keller antraf,
wie sie sich beide gesellig anschwiegen.

Keller taute trotz seiner berufenen Grobheit doch auch mir gegen-
über — das machte aber nur die Nähe Henckells — auf, beklagte sich
aber dann, daß ich ihm die Würmer aus der Nase gezogen hätte. And
diese Würmer lege ich auf den Tisch des Hauses nieder:

Da ist zunächst der Gedicht-Zyklus: die Empfindungen einer Leiche,
die ja auch Poe beschäftigt haben. Diese Dichtung ist veranlaßt durch
das Preisausschreiben einer Leichenverbrennungsgesellschaft in Stuttgart.
Und dies wunderbare, so keusche und sinnenglühende, durch Anheil ver-
tiefte und auf verklärenden Liebestod hinweisende Büchlein von zwei
jungen Menschen, mit dem zu abhängig sich gebärdenden Titel: „Romeo
und Iulia auf dem Dorfe", hat eine geradezu lächerliche Entstehungs-
ursache.

Da liest Keller in den sechziger Iahren in einem Berner Sonntags-
blatt einen gar wütigen Frömmlerartikel, wie Zucht und gute Sitten
in gar erschrecklichem Maße abnehmen. Da haben ein paar junge Leute,
deren zerrüttete Lebensverhältnisse eine Ehe unmöglich gemacht, das gött-
liche Gebot mißachtet und dann ihr sträfliches Beginnen durch gemein-
samen Selbstmord gekrönt und sich von dem beladenen Heuschiff, das sie
festgebunden vorgefunden und das sie dann haben treiben lassen, nach
einer verbuhlten Nacht, ins Wasser gestürzt.

Noch immer höre ich die heisere, leise Stimme, die an eine be-
scheidene Silberdistel erinnerte; noch immer sehe ich die steile Stirn mit
den tiefen, gleichen Furchen, die künstlerische Arbeit über diesen Acker
des Geistes gezogen, noch immer höre ich diesen biedern Züribieter, wie
er mir im Eisenbahnwagen zuraunte: „Er süft." Das war alles, was
er von diesem Meister Gottfried zu sagE wußte.

Und doch, wie es trifft: Wer den Züricher Landwein kennt, wird
schon in dieser Tatsache des Züricher Dichters Heimatsliebe ehren, wie
er sie in diesem Rachenputzer immer aufs neue in sich hineintrank.
Das blaßrote Schöppli vor ihm: mir ist es sein Ehrenzeichen.

Detlev von Liliencron

Ist Emil Zola der Protokollführer und Karl Bleibtreu der Weiß,
der etwas nörgelnde, gescheite Stratege des Krieges, was ist Liliencron?
Der Menschenfreund, fast die gute Gesellschaft des Krieges. And sonst
ein deutscher Muselmann, ein Muselmann mit treuen, tiefen Kornblumen-

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