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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

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Heft 24 (2. Septemberheft 1907)
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Häfker, Hermann: Sprechsaal: die Amtsblätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0777

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neueren geeigneten Nomanen, Erzählungen und Abersetzungen angibt.
Zeitungs-Korrespondenzen, die sich auf genügende Beteiligung stützen,
könnten namentlich durch Hinzuziehung und Bearbeitung noch älterer
Literatur sowie Abersetzungen noch viel mehr und selbst Billigeres auf
diesem Gebiete leisten. Es muß einmal hinzugefügt werden, daß im
übrigen der „Roman" oder die „Erzählung", „Humoreske" usw. keines-
wegs einen so unentbehrlichen täglichen Bestandteil jeder Tageszeitung
darstellt. Die Zeitung, deren Umfang der täglichen Lmpfänglichkeit und
Verdauungsfähigkeit ihrer Leser angepaßt ist — vier bis acht kleine
Quartseiten in großem, schönen Druck würden vielsach schon reichlich sein —
würde ganz von selber zu dem Naturzustand zurückkehren, allenfalls
Sonntags oder durchschnittlich zweimal in der Woche einen, dann aber
auch ergiebigen, Erzählungs-Abschnitt oder am besten ein rundes, ab-
geschlossenes dichterisches Erzeugnis zu geben. Allein unsre abdruckfreie
Strophendichtung — Lyrik, Balladen, Sprüche — würde auf Iahrzehnte
hinaus reichen! And im übrigen würde sich für seltenen Genuß
auch zeitgenössischer Dichtung das Honorar dann schon zusammensparen.

Aber noch auf einem andern Gebiete äußert sich die Rückständig-
keit unsrer durchschnittlichen Amtspresse. Die vornehmste Aufgabe der
Tageszeitung ist es, zu berichten, und durch Nachrichten und den zu
ihrem Verständnis unentbehrlichen Gedanken- und Lehrstofs die Leser über
die großen Tages- und Entwicklungs-Vorgänge auf dem Laufenden zu
erhalten. Die Tagespresse hat die Aufgabe, die Einheitlichkeit und Stetig-
keit unsrer politischen und Gesittungs-Entwicklung in unsrer ganzen völki-
schen Gemeinschaft, in Ost und West, in Großstadt und Weiler, bei Fabrik-
arbeiter und Gutsbesitzer zu sichern. Die „unabhängige" Presse wird
in ihrem Streben danach durch Geschäfts- nnd Parteirücksichten, Ober-
flächlichkeiten und Modeanbetung gestört. Die Amtspresse hätte die Re-
gierungsarbeit in dieser Richtung zu ergänzen.

Wo aber bleibt sie da! Ich will an dieser Stelle nur an Avena-
rius' Leitaufsatz über „Wahlkampf-Asthetik" erinnern und darauf hin-
weisen, daß die Amtspresse in politischen Dingen nicht nur an sich zum
großen Teil auf dem (dem Artikel 29 der Versassung zuwiderlaufenden)
engsten Parteistandpunkt steht, sondern auch dabei ganz denselben Feh-
lern, ganz derselben Geschmacklosigkeit zu verfallen pflegt, wie
sie im genannten Aufsatz gerügt wurde. Politische Aufklärung, un-
befangene Darstellung und Würdigung der Dinge werden wir daher vor-
läusig kaum von ihr erwarten können. Wo aber ist all die Iahrzehnte
lang die Nachrichtenarbeit über die gewaltigen Bewegungen der Gegen-
wart geblieben, über all die Geistesarbeit in Kunst, Religion und Wissen-
schaft, um derentwillen wir Gebildeten es für eine Lust halten, zu leben?
Wo hat man den „Pulsschlag der Zeit" jemals in der Amtspresse ge-
spürt? Wo sind namentlich Naturwissenschaften und soziale Frage ge-
blieben? Man wird mir erwidern: sie waren lange Zeit nicht reif, um
dem Volke in Gestalt greisbarer Ergebnisse, fruchtbarer Weltanschauungs-
werte vorgesetzt zu werden. Aber die Tage der Reife sind gekommen.
Es wächst und vollendet sich überall. Also wo bleibt jetzt die Amts-
presse der Regierungen?

And diese beiden Gebiete sind keineswegs die einzigen, auf denen
Neues und Großes sich vollendet, das dem Volke zn wissen für den natio-

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