Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1925)
DOI Artikel:
sch.: Von der Lüge zur Wahrhaftigkeit
DOI Artikel:
Wauer, William: Der Große Irrtum
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0021

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
staune am meisten über die Erwachsenen, welche den seltsamen Mut haben,
Iugendlichen die vollkommene Wahrhaftigkeit zu predigen und sogar mit
lautem Schall und Brustton anzuraten und Rnwahrhaftigkeit scharf zu
verfolgen. Soweit das nicht Heuchelei ist, dünkt es mich schlechthin
borniert. Mäg man sich mit Kindern verhalten wie man will — es wird
das Beste sein, ihnen keine Gelegenheit, keinen Anreiz zum Lügen
zu geben und im Fall des Lügens sie mit Ruhe die sachlichen Folgen davon
unvermindert spüren zu lassenl —, Heranwachsenden schulden wir genau
das, was wir so schief im Munde führen, solange wir allzu einfach pre°
digen: Wahrheit und Wahrhaftigkeit! Die Wahrheit aber lautet: Wir
lügen alle! und mit Wahrhaftigkeit können wir hinzufügen: und müs°
sen oft lügen! mit großem Vertrauen aber können wir getrost fortfahren:
und auch ihr lügt zuweilen, werdet später immer mehr lügen und lügen
müssen; trachtet nach einem Leben, das euch nicht viel davon aufzwingt;
lügt nie aus Laune oder Nachlässigkeit, lügt nur, wenn ihr Lage und
Folgen mit tiefem Ernst erwogen und echten Zwang dazu erspürt habt —
und tragt mit Mut und Würde die Folgen, wenn sie anders kommen als
erwartet. Mit andern Worten: Lügt eure Lügen nicht weg, wenn sie schon
sichtbar sind, aber vor allem belügt niemals euch selbst! Wenn ihr damit
anfangt, setzt ihr erst vollends euer Bestes aufs Spiel.

Es ist ein gefährliches Thema, das wir behandelt haben. Aus rätsel--
haster Tiefe klingt die Stimme des Gewissens und will das Nnbedingte.
Wir widerraten es nicht. Doch suchen wir es auf dem umgekehrten Wege
vom Gewohnten und Hergebrachten. Millionenmal ist um der Wahr--
haftigkeit willen gelogen worden; vielleicht steht es uns besser an, diese
Form der Lüge auszuschalten, der Zwecklichkeit das ihre zu geben, aber auch
der Seele, was der Seele ist. Sch

Der große ZrrLum*

tbt Kunst „Sinnbilder" — Sinngebilde des Lebens?

I^^Das ist die Frage.

Vom Standpunkte des „bildenden Künstlers" — des Malers, Bildners
und Musikers — aus gewinnt diese Frage besondere Bedeutung in unseren
Tagen, denn dieser glaubt endlich, sich gegen das falsch verstandene „Sinn°
bild" aus rein bildnerischen Gründen energisch wehren zu müssen, um
schließlich auch die bildenden Künste von der verderblichen Tyrannei wesens-
fremder Einflüsse, kämen sie auch von anderen Künsten her, zu befreien
und zu reinigen. So nur können die bildenden Künste — wie wir Künstler
meinen — zu ihrer wahren Bedeutsamkeit und ihrem eigenen Wirken
kommen.

Iedes „eigenartige" Kunstwirken ist nur um seiner selbst willen da
l'art pour l'art — aber kein Kunstwerk kann in der Begriffswelt oder
der Empfindungssphäre hängen bleiben — es steht fest in irgendeinem
Zwecke, in seiner praktischen Aufgabe, sei es auch einer fiktiven oder ganz
allgemeinen — in seinem Material.

Kunstwerke „dienen" — nicht sich selbst — aber ihrem Wirken aus einer
bestimmten Notwendigkeit, wie alle Dinge dem Menschen so „dienen".

Liegt nun diese Notwendigkeit in der „Sinngestaltung"?

* Dieser^ Aufsatz bildct cine Ergänzung zu dem kürzlich erschienencn: Na°
turalismus uud Kunst. Siche die Vorbemcrkung dazu. K-L
 
Annotationen