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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

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Heft 11 (Augustheft 1925)
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Häfker, Hermann: Esperanto-Verantwortung
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0279

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Diese Drnge können hier nicht nach ihrer geschäftlich-organisatorischen
Seite hin ausgesponnen werden, aber grade die Anregung muß von
„außen" kommen. Nur dies sei betont, daß eben das Vorhandensein einer
solchen Literatnr die Nachfrage danach schaffen würde. Die Nachfrage
bedeutet aber hier: ein Heer von Esperantisten, die sich nicht nur für die
Sache begeistern, um sie nach einiger Zeit aus Mangel an Verwendungs-
möglichkeit wieder zu vertagen, sondern eine Armee von Leuten, die dis
Sprache eifrig lernen, weil sie und nur sie ihnen Schätze erschließt,
die anders nicht zu haben sind. Es kommt jetzt darauf an, ob sich kühne
Bahnbrecher finden, die die „Konjunktur" verstehen und ihr großzügig,
aber nicht nur im geschäftlichen Sinne, sondern mit tiefer Kulturverant-
wortung vorarbeiten. Hermann tzäsker

Vom Zeute fürs Morgen

Aufsagen

<^»n Luino, sagte man, sei cine gute
OMittelschule. „Also auf, mein
Sohn, ich melde dich dort an."

„Schon recht!" schrie Fritz, stieß dcn
Gefahrenpfiff der Sioux aus und ent-
fleuchte zum Indianerspielen in den
Garten.

Also querte ich den Langensee
allein hinüber nach Luino. Nicmand
war im Rektorat. Ich ging den Gang
entlang. Eine Türe stand halb offen.
Lärm drang heraus. Die Klasse sagte
auf. Ich horchte schärfer hin. Es
waren die sieben römischen Könige seit
der Gründung Roms. Samt dcn Re-
gierungszeiten. Wie am Schnürchen
ging es. Der Lehrer hatte sein« Klasse
in der Hand. Es ist keine Kleinigkeit,
vierzig Schüler die sämtlichen römi-
schen Könige mit den Iahreszahlen
herunterplärren zu lassen, ohne daß
einer aus dem Takte kam. Die Schüler
nämlich, nicht die römischen Könige.
Denn die hat es nie gegeben. Was
nicht hindert, daß sie aufgesagt werden.

So, jetzt waren sie beim letzten
König. Nun würde sich die Klasse
setzen können. Sie setzte sich nicht.
Sie fing beim ersten König wieder an.

Nun war ich aber doch begierig,
wann der Lehrer es genug sein ließe.
Ob er wohl den Takt auf seinem
Pulte schlug? Ich lugte schief ins
Klassenzimmer — kein Lehrer in der
Klasse.

Er war vor einer Weile fortge-
gangen. Damit derweil die Schüler
auf nichts Dummes kamen, hatte er be-

fohlen: „Die römischen Könige, bis ich
wiederkomme."

Ich habe Fritz nicht angemeldet.
Entrüstet bin ich heimgefahren.

Es war Abend. Die Schiffsglocke
läutete: „Bim bim — bim — bim ...",
sie sagte auf. Der Mann am Fahr-
kartcnschalter sagte eine gute Viertel-
stunde lang: „Wohin . . . wohin . . .
wohin?" Er sagte auf. Die Kurbel-
wellen an der Schiffsmaschine schwan-
gen um im Eisenrhythmus, sie sagten
auf. Der Himmel glühte drüben, wo
die Sonne schon milliardenmal versun-
ken und ihr ewiges Lied aufge-
sagt hatte. Vorn am Buge sprühte
ftets die gleiche schöngeschwungene
Welle auf zu mir. Sie sagte auf.

Ich dachte an andre Schulen. An
die, aus denen ich hervorgegangen. An
berühmtere, in dcnen unsre Großen
ihren ersten Drill erfuhren. Was lehr-
ten sie? Wurde nicht in ihnen allen,
auch den besten, aufgesagt? Denn was
wissen wir? Im Grunde nichts. Und
womit helfen wir nns über diese
grauenvolle Erkenntnis weg? Mit
Aufsagen.

Solang Gott, der Lehrer, draußen
ist. Solang Gott es uns geboten hat,
damit wir, während cr uns ferne ist,
nichts Dummes machen.

Ich schaute in den ewigen Abend-
himmel, schaute in die Menschheit,
welche ihre Sprüchlein aufsagte. Ach,
wie lange ist der Lehrer nun schon
fort. Seit auf dem Kalvarienberg in
Palästina er von uns ging.

Wann wird er uns wiederkommen?

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