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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

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Heft 8 (Maiheft 1925)
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Hoffmann, Paul Th.: Die Vereinigten Kirchen der Erde, [2]
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0114

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ermessen, wie wenig ein Mensch das Recht hat, satt und selbstzufrieden zu
sein, und wie hohe Ehrfurcht uns das Absolute immer und immer abzu--
fordern hat.

Hier aber ist der Moment gegeben, wo alle Religionen segens--
kräftig zusammenwirken können. Sie alle haben ihre besonderen Er°
fahrungen, Weisheiten, Vermächtnisse; sie alle haben zeitlich Vergängliches,
Irrtümer, und zeitlich Anvergängliches, ewige Wahrheiten hervorgebracht.

Das Ziel ist allen gemeinsam: Das Absolute, mögen sie es als das
Unentfaltete oder als das Entfaltete verehren. Nur der Weg ist ver°
schieden. Verschieden gewesen bisher. Wird er es auch bleiben müssen?
Sofern Völker Völker und als solche lebenskräftige, lebensspendende Ein--
heiten sind, werden sie stets ihren einzigartigen heimatlich-individuellen
Selbstwert haben, der auch eine besondere heimatliche Religion verlangt,
aber wir haben darüber hinaus jetzt die planetarische Bindung,
die uns wissen läßt, daß wir alle Menschen, und daß wir alle einer Natur
sind, einem großen Weltgesetz unterworfen, einem großen Kosmos der
Werte eingereiht, der von der Allperson, von Gott beschlossen wird. Das
gibt uns die Möglichkeit, von der Erde her den gemeinsamen Weg zu er--
gründen, der für die Menschheit der allgemein gleiche ist, für die Völker,
für die einzelnen Kirchengemeinden sich besondern kann.

Der Weg aber dürfte enden bei den vereinigten Kirchen der
Lrde. P. Th. Hoffmann

Vom Zeute fürs Morgen

Das Gleichnis

in mit dem Nobelpreis ausgezeich-
neter deutscher Professor, der sich
für einen Philosophen hielt, reiste im
Lande umher und forderte in öffent-
lichen Versammlungen zum Austritt
aus der christlichen Kirche auf. In den
Zeitungen und an den Straßenecken
durch Plakate wurden die Leute ein--
geladen, den Vortrag anzuhören, in dem
wissenschaftlich bcwiesen werde, daß es
keinen Gott gibt.

Viele freuten sich über die spek-
takelmäßige Aukündigung. Die Gläu-
bigen aber wurden tief traurig, als
auf dem Weg zur Kirche ihre Blicke
auf die knallroten Maueranschläge fie--
len, und eine gebeugte Matrone be-
tete nach Schluß des Gottesdienstes un-
ter Tränen ein paar Vaterunser für das
Seelenheil des armen Mannes, wie sie
innerlich den Professor nannte.

Die alte Frau hatte ihr Leben lang
schweres Anglück ertragen, sie wußte
aber genau, daß die Last sie längst er-
drückt, statt nur gebeugt hätte, wäre
einer nicht gewesen, der sie in ärgster

Not tröstete und aufrichtete: der Ge°
kreuzigte.-

Bis hierher ist das Geschichtlein
wirklich wahr, für die Tatsächlichkeit
der Fortsetzung aber kann ich leider,
außer für die Einzelheit, daß der Pro-
fessor nebenbei Malerei uud Musik
trieb, nicht einstehen. Aämlich die alte
Frau tat allerhand Hausarbeit bei den
Leuten, die sie haben wollten, um sich
redlich durchzuschlagen, und so räumte
sie auch einigemale in der Woche die
Wohnung eines angcsehcnen Kunstma»
lers auf. Mit diesem Mann sprach sie
über das Anternehmen des Professors,
das uach ihrer Meinung nichts Gutes
im Gefolge haben könnc, und der Maler
hörte sinnend zu.

Er wußte, daß jcucr Professor sich
einen großen Kunstfreund nauutc, ja,
selbst Bilder malte und musizierte. Er
ging iu den Vortrag, licß sich am
Schluß dcm Redner vorstellcn und lud
ihn z,: einem Besuch in scinem Atclier
ein. Der Professor war sehr erfrcut,
kam am nächsten Tag, und der Meister
zeigte ihm seine Bilder. Der Professor

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