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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1925)
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Cohn, Paul: Vom unnötigen Altern
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Rottauscher, Alfred: Das Österreichische Wesen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0268

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zu machen, Dich hochzurecken, zu marschieren, und Du wirst oft selbst mit Ver--
wunderung sehen, wie damit allein auch die Schatten weichen, die Ge--
spenster verfliegen. Auch das Äble hat seinen Wert, wenn man es richtig
benutzt. Und wie viele schlechte Stunden wachsen dann im Laufe des Iahres
zu ebenso vielen guten und nätzlichen Stunden, deren seelischer und körper--
licher Wert für das ganze Leben fortwirktl

Das Gesetz vom unmerklichen Plus gilt, wie Alles in der persönlichen
Hygiene, nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für ganze Völker; in
diesem Sinne ist Volkshygiene im Großen erst zu treiben und hygienische
Prophylaxe zuletzt auch ein überaus wichtiger politischer Faktor. Ausblühen
und Abwelken des Römertums, Erstarken und Erschlaffen eines ganzen großen
Volkes, sind wesentlich mit Folgen seiner Hygiene. Auch hier sührt die un-
merkliche Abung jedes einzelnen Tages langsam aber sicher abwärts oder auf-
wärts. Diese Lehre haben wir im heutigen Deutschland doppelt zu beachten.

Das unmerkliche Plus auf das Förderlichezu übertragen: das ist das
Ziel der Hygiene des Lebens. Iung-fühlen und Alt-fühlen lassen sich jüben;
es kommt nur darauf an, welchen Weg der Wille geht. Auch hier kommt
es oft nur auf den ersten Schritt an. Inertia vitae regina.

G

Außer dem natürlichen Altern des Gesichtes gibt es ein künstlich verfrühtes
Altern, durch übermäßigen Abbrauch der Gesichtsmuskulatur. Die gelassene
Ruhe des Starken reagiert überhaupt nicht leicht auf einen Reiz; sein Ge-
sicht bleibt sich stets gleich. Anders beim Nervösen: er arbeitet, wie auch
sonst, durch die unnötige stete krampfhafte Äberanspannung seiner Gesichts-
muskeln künstlich am verfrühten Verfall seines Gesichts; daher das frühe
Altaussehen so vieler Nervösen. Gegenüber der glatten Stirn des Phleg-
matikers, die ihn noch im hohen Alter jung erscheinen läßt, hat der Nervöse
früh die Sorgenstirn und die messerscharfen Falten im Gesicht. Durch un-
fruchtbare innere Spannungen reibt er nicht nur seinen Körper, sondern ,auch
sein Gesicht frühzeitig auf. Durch Ruhehygiene, durch willkürliche Entspan-
nung, ist hier viel zu helsen; und nicht nur sür 'das Gesicht. Es gibt aber
eineu andern unnötigen Abbrauch des Gesichts, dem sehr viele Menschen
verfallen: den durch unnötiges Mitschwingen bei jedem Reiz, und den durch
unnötige konventionelle Grimassen. Wer kennt nicht jenes Ge-
fühl nach dem gequält freundlichen Zusammensein mit seelisch unzugehörigen
Menschen, wo man sich die wie gefrorenen Gesichtsmuskeln gleichsam mit
der Hand wieder ruhig und natürlich streichen möchte. Das ewige künstliche
Freundlichsein und Komplimentieren bei jedem Gruß, bei jedem Blick, sum-
miert sich im Laufe der Zeit auch zu einem ganz gewaltigen Abbrauch an
Spannung im Gesicht; und wenn die Gesichter der Frauen früher altern —
besonders um den Mund herum, init dem so viel geheuchelt und gelogen
wird —, so ist gewiß diese gesellschaftliche „Liebenswürdigkeit« (Litelkeit,
Schwäche, Furcht) mit Schuld daran. Iede dauernde Unwahrheit rächt sich,
besonders im Körper der Frau, auch physiologisch; „Hysterie" ist oft uur der
Ausdruck davon. Unwahrheit altert früher; Wahrheit erhält jung.

Das österreichische Wesen

in italienischer Nacht; die bunten Trachten eines slawi-
/ F schen Markttages; Tiroler Bauern; eine jüdische Dorfschenke in
^"^^Galizien; ungarische Magnaten mit edelsteinbesetztem Krummsäbel;
ein türkischer Harem in Bosnien; Wien und Operetten; Lorbeerhaine und

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