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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1925)
DOI Artikel:
Berendsohn, Walter Arthur: Eine Großzügige nationale Leistung
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Böhme, Gerhard: Bilddeutung: Michelangelos "Sklaven"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0141

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sinnvolle Ordnung an Stelle des Wirrwarrs gefordert wird um der natio-
nalen Zukunft willen.

Für alle die aber, welche auf irgendeinem Gebiete an der deutschen
Zukunft mitarbeiten, mag Köln als tröstliches Wahrzeicheu gelten. Es
ist trotz allem möglich, durch schöpferische Ideen in das widerspenstige Ge-
triebe der Wirklichkeit gestaltend einzugreifen und aus ihm neue Mög-
lichkeiten zu befreien. Allerdings nicht, wenn man sich in romantische
Winkel, in Wald und tzeide und am Meeresstrand, zurückzieht, nicht als
Einzelmensch, oder in kleinen abgeschlossenen Gruppen, sondern nur, wenn
man sich mitten hineinstellt in das wüste Leben und ihm dient, wo es am
häßlichsten ist, in rückhaltloser tzingabe an die künftigen Menschenge-
schlechter. Walter A. Berendsohn

Bilddeutung

Michelangelos „Sklaven"

^«^ie Begriffe, unter denen Mit- oder Nachwelt ein Werk der bildenden
^A^Kunst fassen zu können meint, werden ihm auf einem Zettelchen
angeklebt; mit solchem „bürgerlichen Namen" muß ein Werk dann
durch die Iahrhunderte gehen.

Dic beiden „Sklaven", die Michelangelo für das Grabmal Iulius des
Zweiten meißelte, haben immerhiu in einer tzinsicht Glück gehabt: sie wurden
als Brüder getauft und wurden auch räumlich nicht auseinandergerissen,-nun
schon lange stehen sie beide ii» Louvre. Warum es für den „Sterbenden"
und den „Gefesselten", wie man sie unterscheidet, ein Glück war, anerkannt
in ihrer Zusammengehörigkeit als Brüder in die Welt gehn zu dürfen?
Man vergleicht sie deswegen gewöhnlich, und da sie das Schauen durch
stärkste Gegensätze reizen, ergibt sich unwillkürlich, daß man sie ini Kraftfeld
und in der Art ihres gestaltenden Schöpfers zu erfassen, nachzugestalten sucht.
Dadurch kommt jedes der als Gegenpole erscheinenden Geschöpfe zu Recht
und Wirkung seines eigensten Wesens. Man braucht beim Nebeneinander-
sehn nicht sogleich die Umformung des Erlebens in den bröckligen Stoff
unserer vieldeutigen Wortsprache, also keine Gleichnisworte, um den Ge-
fühlen und inneren Bewegungen, die der Gefesselte und der Sterbende
erregcn, Ausdruck zu geben. Daraus gerade erklärt sich in der Regel das
Gelingen oder Halbgelingen eines Vergleichs von Werken gleichen Werk-
stoffs, auch wenn sich der Vergleichende der Gunst der Sachlage gar nicht
bewußt wird.

Und doch hat den Sklaven ihre Verwandtschaft und ihr Beisammenbleiben
nicht viel geholfen! Aberwältigend erlebt der Betrachter der Beiden physisch
und psychisch stärkste Spaunung im Gefesselten, letzte Lösung im Sterbenden.
Räumlichkeit, Tiefenschichtuug, Bewegung, Stellung, Form, Linie, alles über-
haupt Schau- und körperlich Fühlbare der beideu Werke ist und wird hier
Spannung, dort Lösung. Unerschöpflich, seelisch und körperlich, wirkt jeues
Werk Lösung, dieses Spannung. Das war die Veranlassung, den einen den
„Sterbenden", den andern den „Gefesselten" zu nennen. Iedoch, diese zu
Namen erstarrten erklärenden Begriffe verkümmern in Wahrheit die Be°
trachtung, die nun längst keine freie Anschauung mehr ist. Begriffliche
Namen können für jede nachgestaltende Aufnahme von Kunstwerken nur
 
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