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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

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Heft 8 (Maiheft 1925)
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sch.: Lust und Glück
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0079

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S8


Lust und GlüÄ

<^ust und Glück — ein seltsames Doppelspiel wird in unserm Deutschland
^E^tt diesen beiden Worten getrieben: 2llle sehnen sich heute und hier
^*"wie immer und überall nach Lust und Glück, die meisten Menschen
gieren danach; aber in der „öffentlichen Meinung", im Austausch und
Kampf der Ansichten werden beide doch als geringfügig, unwürdig, oft
als sudlig behandelt. Lust: „Pfui!" und Glück: „Als ob es darauf allein
ankäme!"

Was bedeutet dieser Widerspruch? Wohl nicht viel mehr als die weit--
verbreitete unheimliche Vorliebe für hochtrabende, philosophieähnliche Pla-
kate, Bekenntnisse, „Weltanschauungen", an die man glaubt, solange sie im
Munde zu führen sind; wir halten uns mit> Denken und Reden gern von
der Wirklichkeit, auch von der Wirklichkeit uuseres eigenen Wesens fern,
kurz: wir ueigen ein wenig zur Schönfärberei, vielleicht sogar zur patheti-
schen Selbsttäuschung. Wir meiden die eitle Nuhmredigkeit, die in Frank-
reich eine gewisse Rolle spielt. Die Franzosen preisen ihre gloire, feiern
sich als grande nation, erheben sich als Volk leicht dünkelhaft über andre
Nationen. Das ist bei uns weniger verbreitet. Dabei sind die Franzosen
indes nicht wirklichkeitfremd; recht wohl wissen sie sich auf Lust und Glück
einzustelleu. Wir sassen es anders an. Eine Sache: noch so einfach, noch so
menschlich und nüchtern, noch so unzweifelhaft einzig nach Vorteil und
Nachteil zu entscheiden, — wir machen sie unfehlbar zu eiuer Angelegen-
heit weittragender Denkungweise, zum Gegenstaud philosophischer, religiöser,
von der „Weltanschauung" abhängiger Entscheidung! Man sehe unsere
politischen KLmpfe an! neunundneunzig von hundert Entschließungen und
Parteinahmen sind tatsächlich das uachrechenbare Ergebnis von In-
teressen, nüchternen und handgreiflichen Interessen. Aber wie werden
sie nach außen hin begründet? Mit den heiligen Prinzipien des Sozialis-
mus als einer Glaubenslehre, des Natioualismus als eines Dogmensystems,
der Religion als unserer tiefsten Verpflichtung, des Demokratismus, der
Freiheit, der Treue, der Deutschheit und so fort. . . Die Hundesteuer wird
nicht bekämpft aus Lust an Hunden, sondern aus Humanität und seelischer
Tiefe! Ein Handelsgesetz nicht mit Gründen des Vor- und Nachteils,
sondern aus dem Gesichtspunkt der Erhaltung unserer Kultur! Der Z 218
entfesselt ganze Kaskaden von Philosophie, Religion und Weltanschauung.
Volksbildung gilt nicht als Volksbildung, nicht als solche schlechthin schon
gerechtfertigt, sondern Humanität, Religion, Freiheit, Vaterland, Versöh-
nung und Verbrüderung und andere „Ideen" müssen jedeu volksbildneri-
schen Schritt begründen, sonst ist das Ganze keinen Pfifferling wert. Aber
faktisch-praktisch entscheiden doch die Interessen und das Gefallen an einer
Sache, faktisch-praktisch tut man auch nur sachlich das Sachliche. Alle jene
Phrasen sind freilich merkwürdigerweise im letzten Grunde wahr! Ein
hochgeistiger, tieffühlender Mensch faßt am Ende auch das Einfachste so
kühn als Symptom und Stichprobe letzter Einstellungen auf. Aber die
Hunderttausende, die alltäglich so und so viele Ismen und Iken, so und
so viele große Ideen und Weltanschauungen im Munde und ins Feld

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