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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1925)
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Trentini, Albert: Kunst und Natur
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Herter, Hans: Dichtung soll die Welt ändern wollen!
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0302

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geglaubte »Werke" hervorbringt, die beiden letzteren Arten und Sinne der
Hervorbringung, als im künstlerischen Kleide vermittelt, offenbaren
soll; wie, mutatis mutandis, das religiöse Werk und das wissenschaft-
liche Werk auch die ihnen komplementären Schwester-Arten und Sinne der
Hervorbringung. Diese Vorstellung hat aber, dem Wesen der Natur ent-
gegengehalten, umsoweniger Absonderliches an sich, als nicht viel dazu ge-
hört zu erkennen, wie die von der Menschheitwerehrtesten Werke aller größ-
ten Geister diesen Naturzusammenhang zwischen Religion, Wissenschaft und
Kunst — zwischen Gutheit, Wahrheit und Schönheit — ausgedrückt und
dlamit die natürliche Totalität des menschlichen Geistes und des menschlich
höchsten Hervorbringens bekannt haben! Albert Trentini

Dichtung soll die Welt ändern wollen!

i

*^u mehreren Malen hat ein geistreicher Theoretiker, der Mann des
^^„Sturms", William Wauer, seine zugespitzten Anschauungen über das
(^Wesen der Kunst im Kunstwart entwickelt. Es sei erlaubt, daran anzu-
knüpfen, um eine grundsätzlich andere Meinung, vielleicht ist es genau
die entgegengesetzte, zu verfechten. Wenn ich Wauer richtig verstand, so
will er die reine, sinnlich erlebbare, sinnlich z u erlebende Kunst, deren Ge-
halt unbewußt in den Menschen überströmt, wenn er überhaupt strömt. Ihr
Analogon auf dichtkünstlerischem Gebiet wäre eine Laut-Kunst, eine Dich-
tung, deren Klang und Rhythmus Erlebnisse übermittelt, ohne daß gedank-
lich faßbarer „Sinn" beigemischt wäre. Es ist bemerkenswert, daß ein
andrer Führer der „Sturm"-Gruppe, Rudolf Blümner, den Schritt zu
dieser Laut-Dichtung getan hat. Er hat erklärt sinnlose Lyrik aus Silben
und Worten gefügt und rezitiert sie öffentlich mit dem Erfolg, daß die Zu-
hörer immerhin am Nerv gepackt werden. Trotzdem scheint mir an diesem
Beispiel entscheidend deutlich zu werden, inwiefern die Theorie der „Sturm"-
Männer hinkt und ihre Kunst teilweise lahmt. Sie übersehen mancherlei
Wichtiges, vor allem aber zweierlei: daß jegliche Kunst-Theorie letzten
Endes nicht durch Nachdenken im erfahrungfreien Raum entstehen und
in ein „So soll es seinl" ausgehen kann, sondern allein durch Zergliederung
und Betrachtung vorhandner und bedeutender Kunst gewonnen werden und
in ein „So ist es!" münden muß; daß füglich ein „So soll es sein!" sich
auf nichts anderes begründet als auf unsern persönlichen Willen; und daß
Kunst wie jede menschliche Hervorbringung mehrseitiger Art ist, aus ver-
schiedenen Quellen strömt und verschiedene Wirkungen hat. Wauer glie-
dert sich gewisse Wesenszüge der bildenden Kunst heraus, vernachlässigt
andere, erklärt die herausgegliederten für allein-wichtig, ja einzig-bezeich-
nend und folgert: So also soll Kunst sein! Er verneint damit den größten
Teil der Kunst aller Zeiten und Völker, dessen Dasein wir überhaupt erst
ein Wissen von Kunst verdanken. Von den Höhlen-Ritz-Zeichnungen primi-
tivster Menschheit an bis zu unserer Zeit, von China und Iapan über
Indien einerseits, Peru anderseits bis nach Europa und jedem seiner Län-
dyr hin hat Kunst nebenher auch anderen, nicht „rein" bildnerischen An-
liegen der Menschen gedient, hat sie „Sinn" gehabt und „Dinge" enthalten.
Dieser Nmstand ist trotz alledem gewichtig, und es hilft nichts, mit starrem
Fanatismus daran vorüberzugehen. . .

Vollends aber ist dem Versuch, etwa sinnfreie Dichtung zu schaffen, das

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