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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

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Heft 8 (Maiheft 1925)
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sch.: Lust und Glück
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Trentini, Albert: Aufklärung des Kindes, oder Leben mit dem Kinde?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0084

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der Preußrschen Staatslotterie oder ein Goldfund im Garten oder eine
liebenswerte Ehefrau. Aber: von uns schwachen Menschen erwachsen
Millionen nicht auf der Ebene, auf der der Kampf ums Glück Erfolg ver--
spricht, bringen Millionen von Geburt nicht die Kräfte mit, die Sieg ver-
heißen. Wer aber die Ebene erschwingt, wer die Kraft mitbringt, dars
wohl alle Furcht und Heuchelei ablegen. Erlaubt ist, was dem Glücke
näherbringt! Natur ist nicht böse, kein bloßes Wort ist verfemt. Wer seiner
Sehnsucht Anker hoch und weit hinaus wirft und sich bekennt zu seinem
Menschenschicksal, läßt sich ruhig belächeln deswegen, weil er Lust und
Glück begehrt — wenn er nur weiß, was beide bedeuten, 'so wird ihm das
Lächeln der Andern nichts anhaben. ' Sch

Aufklärung des Kindes, oder Leben mit dem Kinde?

^m^er Storch, das ist die gemeinübliche Erfindung der Menschen, die
/sich von der Natur entfernt haben; nicht imstande waren, ihr Leben
als naturhaft empfundenes zu erhalten. Die Eltern bleiben auch
zwischen den Steinen der Großstadt Wesen der Natur, Hörige ihres Ge°
setzes, welches sich in der Paarheit der Art und in der Erzeugung eines
neuen Art-Gleichen aus der Vereinigung der Paarglieder äußert. Den-
noch bekennen sie dieses Gesetz höchstens noch — dreimal betont: höchstens
noch — gegenseitig untereinander. Dem Erzeugten hingegen, als ob das-
selbe nicht einzig dem Walten dieses Gesetzes und ihrer Nntertanschaft unter
dasselbe sein Dasein verdankte, gestehen sie es nicht nur nicht ein; sondern sie
leben sich selber vor dem Kinde so, als ob das Gesetz eine Schmach, eine
Ungehörigkeit, — zum mindesten eine Peinlichkeit wäre. Schamgefühl, das
ist Naturdie Natur liebt Geheimnisse, ja, sie ist ein Geheimnis! Ver-
leugnung der Natur aber, Sotun, als ob ihr Geheimnis etwas Anstößiges
wäre, Soleben, als ob der Mensch ihr (leider noch) halb zugehörte, halb
sie bereits überwunden hätte, ist nicht Ausdruck der Scham, sondern eines
ungeheueren Mißverständnisses! Welches am Ende dazu führt, daß Men-
schen, die Liebesnächte heiligster Erfüllung in der Erinnerung tragen, oder
Orgien der bösesten Tierheit gefeiert haben, oder auch (und das ist ärger!)
als Mann kein Weib oder als Weib keinen Mann erkannt und also kein
Kind erzeugt oder geboren haben, Bücher — und wie viele Bücher! —
darüber schreiben müssen: ob, oder nicht, das Kind, welches endlich hinter
den Storchenschwindel kommt, „aufgeklärt" werden soll, und, wenn aus-
gemacht ist, daß es aufgeklärt werden soll, — wie das zu machen sei!

Hält es jemand für wahrscheinlich, daß die alten Agypter, die alten
Griechen, die alten Römer sich über diese Fragen den Kopf zerbrochen
haben? And klären die Südländer überhaupt, — mehr noch: klärt irgend-
ein Bauer seine Kinder auf? Man sagt mir dagegen: jene lebten und diese
leben mitten in der Natur! Die hatten, die haben es leicht! Ihre Kinder
kamen, kommen von selber drauf! Aber wird hiedurch, frage ich, die be-
schämende Talentlosigkeit (der alte Grieche würde verächtlich sagen:
„Barbarei") entkräftet, die darin liegt, daß wir uns der Verschiebung un-
seres Lebens vom „Lande" in die „Stadt" nicht angepaßt haben, und
mangels solcher Anpassung nun so leben, daß nicht auch unsere Kinder
von selber „daraufkommen"? Nur die Dummheit der Vorgabe, wir lebten
nicht mehr in der Natur, weil um uns herum nicht mehr die Blumen
wachsen, die Käfer, Hühner und Kaninchen sich begatten, — während

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