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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

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Heft 8 (Maiheft 1925)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0100

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Lose Blätter

Chinesische Weise*

s„Welcher Gigant der Urzeit hat diese Ouadern gefügt!" Die
Worte, die jemand über ein altes Schloß gesagt hat, kommen einem in
den Sinn, wenn man in Tao Te King liest.** Fünfzig Iahre
noch vor Kungfutse, also etwa um 600 vor Chr., wurde Laotse geboren,
der Verfasser dieses Buches. Die Sage erzählt, daß er auszog, um in der
Verborgenheit zu leben, die er gelehrt habe. Als er dnrch den westlichen
Grenzpaß des Reiches kam, aus seinem schwarzen Ochsen reitend, verneigte
sich der Grenzgraf tief vor ihm und bat ihn, ein schriftliches Andenken zu
hinterlassen; da schrieb er die Lehre vom Tao, vom Sinn des Seins, dieses
kleine und dennoch gigantische Buch. Die Sage konfrontiert ihn auch in sehr
charakteristischer Begegnung mit Kungfutse, dem Vertreter der entgegen-
gesetzten und siegreich gebliebenen Seite des chinesischen Geistes. Kungfutse,
zu dessen liebenswertesten Eigenschaften ein immer bereites Lernenwollen
gehört, habe auch den Alten aufgesucht. Er habe ihn natürlich nach den
Königen und Weisen und nach den Gebräuchen gefragt, die ihm so am
Herzen lagen. Laotse habe gesagt, wovon er spräche, diese Männer samt
allen ihren Gebeinen seien längst vermodert, „ich habe gehört, ein kluger
Kaufmann verberge seine Vorräte. . . der vollendete Weise erscheine
äußerlich wie unwissend — Weg mit dem Hochmut und den ausschweifenden
Plänen, das alles nützt nichts. Das ist es, was ich dem Herrn zu sagen
habe — damit gut." Kungfutse sprach zu seinen Schülern: „Vögel, ich weiß,
können fliegen, Fische, ich weiß, können schwimmen, Tiere, ich weiß, können

* Im folgenden bespricht Arthur Bonus hauptsächlich die Abersetzungen chine-
sischer Werke philosophischen, sozialethischen, religiösen Inhalts, die Richard
Wilhelm gegeben hat, und aus denen anch die auf den Aufsatz folgendeu
Proben stammen. Wir gedenken ganz im Sinne von Bonus' Meinung, daß
chinesische Dichtung und Literatur die europäische Welt-Betrachtung wescntlich
fördern möchte, künstig öfter auf sie hinzuweisen. Seit Wilhelms verdienst-
völle Arbeiten erschienen, ist eine Fülle weiterer Abersetzungen aller Art
herausgekommen. Vor allem hat das Tao te king zahlreiche Deutsche zur
Wiedergabe gereizt. Wir sagen: Wiedergabe, da von „Äbersetzung" hier nicht
eigentlich die Nede sein kann. Die unbegriffliche chinesische Zeichenschrift ent-
zieht sich letzten Endes einigermaßen unserem vollen Verständnis, ja es ist frag-
lich, ob ihr eigentliches Meinen sich überhaupt in Worte einer europäischeu,
also begrifflichen, Sprache fassen läßt. So hat z. B. jeder Abcrsetzer schon für
das Wort „Tao" einen andern Ausdruck. Wichelm sagt: Sinn; Dallago
sagt: Anschluß,- Ierven sagt: Wesen; Aüdere sagen: Geist, Bahn, Weg u. a. m.
Wieso wir trotz dieser Anklarheit viel vom Taoteking haben können, zeigt
Bonus klar.

** Laotse, Tao te king, das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Aus dem
Lhinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm. (Iena, Diederichs.)
Die Schlußform „tse" dieser Philosophennamen ist englische Schreibung. Sie
lautet in deutscher Aussprache „Dsi" und bedeutet „Meister". Wilhelm hat iu
seinem Text und meist auch in den Titeln dic deutschc Schreibung durchgeführt.
Also: Lao-Dsi, Liä-Dsi, Dschuang-Dsi, Kung-Fu-Dsi, Mong-Dsi. Diese alle nebst
dem I-Ging (Pih-King) der ältesten Literatur jetzt deutsch vom gleichen Aber-
setzer im gleichen Verlag; dazu noch eine Märchen- und eine Liedersammluug.

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