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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1925)
DOI Artikel:
Trentini, Albert: Deutsches Wesen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0182

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Deutsches Wesen

ns selbst zu erkennen — wann wäre die Begier danach nicht in uns
I I gewesen! Versuch auf Versuch, auf uns selber draufzukommen, ist
^^unsre Geistesgeschichte; und unsre äußere: ein Klugwerdenwollen
aus einem Schaden nach dem andern. Ia, geradezu gefrönt haben wir
der Leidenschaft, unser Wesen in uns aufzufinden, und überglücklich waren
wir, sooft wir glaubten, es gefunden zu haben.

Heute suchen wir es wieder. Das ist nach den Erlebnissen der letzten
Iahrzehnte gerechtfertigt. Aber heute sucht man es auf eine andere Weise.
Wir haben inzwischen erfahren, daß es Unumschreibbarkeiten gibt; Dinge,
die sich weder greifen, noch selbst logisch-begrifflich umzirkeln lassen. Es
ist ein Irrtum gewesen, zu meinen, die Welt sei nichts anderes, als
Material der Vernunft, und die Vernunft also imstande, die ganze Welt
zu erfassen. Es scheint uns heute kaum mehr glaublich, wie dieser Irrtum
— dem weniger Größenwahn als das Mißverständnis zugrunde lag, der
Mensch sei mit Recht größenwahnsinnig — so lange die Gehirne bannen
und aus diesem Bann die unbegreiflichsten, ja beschämendsten Schein-
wahrheiten hervorzeugen konnte, die uns als Dogmen galten. Nur unter
der Fürsprache dieses Mißverständnisses gewannen wir die Aberzeugung,
auch unser Wesen müßte sich „definieren" lassen wie das eines Baumes
oder eines Vogels; und gaben nicht Ruhe, ehe wir nicht immer wieder eine
solche Definition, und war sie noch so gezwungen und geschraubt, „zusam-
men-analysiert", und auf eine Standarte geschrieben hatten,- nicht wissend,
daß im Grunde auch das Wesen eines Vogels oder eines Baumes sich
weder analysieren noch definieren läßt.

Wer heute sich Gedanken über das deutsche Wesen macht, hat diesen
Irrtum überwunden. Er weiß, daß es sich hier um eine Außerung von
„Leben" handelt, und daß das „Leben" sich nicht in Worte spannen läßt.
Was das „Leben", das, was „lebendig" macht und „lebendig sein" heißt,
eigentlich ist, hat noch niemand herausgebracht. Aber erlebt wurde endlich
dieses: Was immer die Vernunft, als eine der Eigenschaften der Lebens-
form „Mensch", dem „Leben" gegenüber versucht und tut, kommt nur
annähernd, weil eben nur für sie, für die gemeine Meinung der ver-
nünftigen Menschen, dem „Leben" auf den Leib; sie erarbeitet und schafft
nur solche Gewißheit vom „Leben", welche auf der Annahme steht,
als ob das „Leben" ein sinnlich ersaßbares Ding, und nicht vielmehr
etwas sei, was, sinnlich durchaus unerfaßbar, im sinnlich erfaßbaren
„Lebendigen" sich auswirke.

Nun wird auch dem Geheimnis „Deutsches Wesen" gegenüber wieder
mehr Ehrfurcht empfunden, als in den letzten Perioden deutscher Geist-
betätigung. Nnd das ist gut. Es wagt sich nicht mehr der Nächstbeste dran,
herzugehen und mit Entdeckerpathos zu erklären: „deutsch ist: —!" Nnd
das ist besonders gut! Oder begreift man nicht, daß auch die bedingtesten
Wahrheiten, die man von sich selber ergründet und ausspricht, den Pferde-
fuß tragen: daß eben man selber von sich selber sie ausspricht? Wenn
aber ein Fremder etwa „Deutsches Wesen" umschreibt, trägt dann seine

Iuliheft,925 (XXXVIII, ,o)
 
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