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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1925)
DOI Artikel:
Böhme, Gerhard: Bilddeutung: Michelangelos "Sklaven"
DOI Artikel:
Schjelderup, Gerhard: Die Romantik in der Musik der Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0144

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und psychrschen Bewegungsvorgänge. Man hat damit die Bewegungsfolge
und ihren Fluß, eben alles, was im Bereiche des Plastischen bleibt. Wie die
Melodie dem Aufnehmenden klingt, und welche Verschiedenheiten des inneren
Aufnehmens und Wahrnehmens — zahllos wie die Menschen und ihre Stim-
mungen — möglich sind, ist unbestimmbar,- sie hängen zunächst vom Aufneh-
menden und seinem Gestimmtsein ab. Das letzte geheime Lebenswunder der
Schöpfung und ihres Lebens, die tiefste Stille alles Erschaffenen, Lebendigen
läßt ein Wölfflin unangetastet. Vielleicht zeigt sich hier ein im schönsten
Sinne schweizerischer Zug seines Wesens.

An sich brauchen die Aufsassungeu von einem resigniert Erliegenden, „ster-
benden" Gefesselten und von einem Schlafenden nicht viel weiter auseinander
zu gehen als die vvn Tvd und Schlaf (die Gefühle freilich, die den Begriffen
Schlaf und Tvd sich anhängen, weichen stark voneinander abl). Sv kvnnte
Wvlfflins Schüler Max Sauerlandt in einer Einführung zu Michel-
angelvschen Werken diese Auffassung Wölfflins und die der übrigen
hier erwähnten Betrachter zusammenschließen: „Bald sind sie (Michelan-
gelos Geschöpfe) ganz Widerstand, anschwellender Aufruhr, Emporung gegen
die Hemmungen äußerer Gewalten, bald scheinen sie... — der Herrschaft des
bestimmenden Willens entzogen — in purpurnes Anbewußtsein zu versin-
ken. Von je haben die beiden Sklaven des Louvre als der vollkommenste Aus-
druck dieser Pole der Empfindung gegolten." Hier haben wir die Psycho-
graphischen, erlebnisbeschreibenden Parallelworte für stärkste Spannung und
letzte Lösung. Letzte Lösung liegt im Versinken in den Tod ebenso wie ini
purpurnen linbewußtsein des Schlafs, in den wir versanken oder aus dem
wir wieder aufsteigen. Gerhard Böhme

Sprechsaal

(Anter eigener sachlicher Verantwortung der Einsenderj

Die Nomantik in der Musik der Zeit

^-»nter den jüngeren Musikern hört man sehr oft die Behauptung, die
I I Romantik sei „überwunden";Hans Pfitzner etwa sei der „letzte Roman-
^^tiker", seine Werke seien nur ein Nachhall Wagnerischer Romantik.
Das Wort „romantisch" ist in diesen Kreisen schon ein Schimpfwort ge-
worden; man bildet sich ein, die Romantik aus tiefstem Herzen zu hassen,
ja zu verachten. Indessen ist die Romantik gegenwärtig lebendiger denn
je, annähernd sämtliche Richtungen moderner Kunst stehen im Zeichen einer
oft sogar überhitzten Romantik!

Der Lharakter dieser Geistesrichtung ist im allgemeinen in bezug auf die
Form: Antipathie gegen Regeln, gegen Gesetze und festgelegte, traditionelle
Formen, — Laune anstatt Logik, Willkür anstatt innerlich begründeter Ent-
wicklung, Zersplitterung und Zergliederung größerer Gebilde, starke Sub-
jektivität, manchmal auch Manieriertheit und heldenhafte Pose; in bezug
auf Gehalt: Äberwiegen einer zügellosen Phantasie und überschwänglicher
Gefühle, intensive Stimmung, Haß des „grauen Alltags" und der Gegenwart,
überhaupt Sehnsucht nach fernen Zeiten und Kulturen, ja nach dem „Ur-
menschentum", Naturanbetung, frommer Glaube, inbrünstige Mystik.

Aicht nur in der Musik herrscht heute Romantik. Auch in der Dichtung.
Sogar noch lebende Meister der realistischen Epoche (z. B. Arno Holz)

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