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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1925)
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Schjelderup, Gerhard: Die Romantik in der Musik der Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0145

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haben sich in ihren späteren Werken diesem Einfluß nicht entziehen können.
Strindberg hatte sich in seinen letzten Iahren zu einem Vollblutroman-
tiker gewandelt. Die „Gespenstersonate", Traumspiel" und „Nach Damascus"
sind Schöpfungen echter Romantik. Dehmel, Rilke, Stephan George,
Dänbler usw. gehören alle einer neuromantischen Richtung an, und selbst
ein Wedekind hat die Gegenwart romantisch fratzenhaft verzerrt, wie ein
Zacharias Werner die Greuel des Mittelalters. Noch dunkler und tasten-
der sind die Expressionisten, Dadaisten und ihnen verwandten
Gruppen. Maler und Bildhauerkunst huldigen derselben Rich-
tung und Auffassung. Traumvisionen und innere Gesichte werden phan-
tastisch gestaltet, Gefühle und Bewegungen unterstrichen, Ausdruck wird auf
Kosten der Wirklichkeit-Abbildung erstrebt, Formen werden machtvoll be-
tont, das Charakteristische wird übertrieben, die Nnabhängigkeit der Künste
und ihrer Selbstherrlichkeit hervorgehoben, die Abhängigkeit von der Na-
tur hestig bestritten, Seelentiefe und kosmische Mystik hitzig angestrebt.
Wenn z. B. ein Marc die Tierseele zu entdecken glaubt, und die Tiere
..nicht wie wir Menschen sie sehen", zu malen meint, „sondern wie die
Tiere sich selbst sehen", bekennt er sich als Anhänger einer hyperroman-
tischen Naturmystik. Die geheimnisvolle, kosmische Farben- und Linien-
mystik eines Kandinski spricht dieselbe romantische Sprache.

Das Charakteristische an diesen „Modernen" ist: Zerstörung oder
Abertreibung der von der Natur gegebenen Formen, persönliche
Willkür, starke Subjektivität, intensive Stimmung, ekstatischer Ausdruck.
Dazu kommt noch eine gläubige Verehrung uralter exotischer Kulturen
und primitiver Meister. Agypten, Indien, China, Iapan, Byzanz und
das Mittelalter üben einen starken Einfluß auf ihr SHaffen aus, Neger-
plastik und vorgeschichtliche Höhlenzeichnungen dienen ihnen zuweilen als
anregende Vorbilder. Alles Kennzeichen einer typischen, ausgesprochenen
Romantik!

Die „modernen" Tondichter nun wollen den Einfluß der Romantik
durchaus nicht zugestehen. Die Romantiker seien alle subjektiv, die
„wahre Musik" aber soll objektiv sein! Musik als „Ausdruck der mensch-
lichen Seele" sei eine falsche, überlebte Theorie: „Die Musik drückt nicht
irgend etwas aus, sie i st", heißt es! Die Betreffenden mußten jedoch zu-
geben, daß es eine erhabene, tiefe, innige, aber auch eine flache gemeine
Musik gibt, daß m. a. W. die Musik schlechthin den Ausdruck seelischer Zu-
stände bildet. Während Dichter und bildende Künstler als ihr Ideal die
Vertiefung des Seelenlebens, das Eindringen in die Geheimnisse der
Natur, das Kosmische, Transzendentale, göttlich Erhabene betonen, be-
hauptet demgegenüber der junge „moderne" Komponist, daß die Musik
entseelt werden soll, sie sei ja ein Spiel der Töne, das rein musikalischen
Gesetzen folge. Darum die allgemeine Wut gegen die „subjektive Roman-
tik", deren Bestreben es war, durch Töne den tiefsten und mannigfaltigsten
Ausdruck der menschlichen Seele zu schaffen. Beethoven etwa scheint
diesen jungen Heißspornen höchst verdächtig. Seine starke Subjektivität
ist ihnen viel zu „romantisch". Nnter den Meistern gelten ihnen eigentlich
nur Bach und (merkwürdigerweise) auch Mozart als wahre Vorbilder.
In Wahrheit ist Musik ohne jede Romantik nicht denkbar. — Was
versteht man speziell in der Tonkunst unter Romantik? Zertrümmerung
konventioneller, besonders größerer Formen, Zersplitterung des Tonsatzes
kurzatmiger, sich oft wiederholender Motive ohne erschöpfende Lntwick-
 
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