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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1925)
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Rottauscher, Alfred: Epigramme Martials
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0255

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Epigramme Martials

sDie meistgelesenen Neuerscheinungen auf dem römischen Bücher-
markte der Iahre 80 bis 102 nach Christus waren die vierzehn Bücher,
die der römische Ritter Marcus Valerius Martialis, von Geburt ein
Spanier, in rascher Reihenfolge als Sammelbändchen seiner Epigramme
erscheinen ließ. In Hand- und Luxusausgaben, diese parfümiert und in
Purpur gebunden, lagen sie bei Atrectus auf dem Argilet, der Hauptver-
kehrsstraße des kaiserlichen Rom, zum Preise von fünf Denaren auf.
Der Name Martials prangte da vor dem aller andern Autoren aus den
Reklameplakaten, mit denen die Buchhandlungen ihre Türpfosten aus-
statteten, und seine Werke waren für jeden, der Interesse für Bücher hatte,
eine Sensation. Selbst die Offiziere in den fernen Legionskastellen am
Rhein oder in Syrien erwarteten, wenn man dem Dichter glauben darf, mit
Nngeduld die Post, unter deren Paketen sie ein neues Epigrammbändchen
Martials erhofften. —

Das Altertum war nicht in allen Iahrhunderten jene einheitlich olym-
pische Welt kühler, marmorner Griechengötter, wie etwa noch der Klassizis-
mus es empfunden hat. Voll der 'süßen Geheimnisse des Märchens, vom
blauen Dufte des Mittelmeers überhaucht, wilde Lorbeerhaine und gelber
Ginster an odysseeischem Gestade, Menschen von der adeligen Primitivität
und schönen Würde edler Tiere: das ist die Antike, die Homer breithin
ausatmet. Zum Lrkennen der seelischen Probleme gereift, nach gelöstem
Geheimnis der Außenwelt dem Geheimnisse des eigenen Ich nachspürend,
schöpserisch im Aberschwange erkannter Schönheiten: das ist die Antike
der großen griechischen Tragiker. Eine Welt, die allen Dingen den poeti-
schen Reis längst abgestreift hatte, eine nüchterne Welt der stehenden
Armee und exakten Verwaltung, der Technik und der Getreidebörse, des
Skeptizismus und der Geheimlehren, literarischer Intellektualitäten und
pompöser Ausstattungsrevuen, eine Millionenstadt drei und vier Stock
hoher Zinskasernen als Hauptstadt: das ist die Antike Martials. Sein
Rom, wie man es so lange getan hat, nach Pompeji beurteilen, hieße,
nach Iahrtausenden etwa ans einem verschütteten deutschen Provinzstädt-
chen Berlin rekonstruieren wollen.

Dieses Rom seiner Zeit hat Martial geschildert. Hier sind die antiken
Großstadtmenschen des ersten nachchristlichen Iahrhunderts, wie sie waren,
mit grauenvoll nackter Seele oft, aber immer unheimlich wahr: der zer-
schmetterte Bankrotteur, der verhaftete Hochstapler, die mannstolle Ehe-
brecherin, der skrupellose Spekulant, der antiquitätensammelnde Sonder»
ling, die homosexuellen Masken beiderlei Geschlechts, der genießende
Reiche, das hungernde Proletariat und hier und dort ein einsamer guter
Mensch. Nnd wie sie alle, die seine Opfer waren, oder die ihn lasen, hatte
der Dichter keine Zeit. Das ganze kaiserliche Rom, weniger, wie man
meint, von Orgie zu Orgie, sondern vielmehr von Geschäft zu Geschäft, von
Betrieb zu Betrieb hastend, hatte keine Zeit. Sein künstlerischer Ausdruck
war wirklich das Epigramm und nur das Epigramm: einige schmissige
Worte, ein Schrei über die Gasse, ein geistiger Dolchstoß und ein Griff
in die Brust, daß ein Menschenherz zuckend und entblüßt daliegt. Kurz,
keiner hat so wie Martial inhaltlich und formal das ausgedrückt, was
seine Welt ausmachte. Er formte, wie er selber sagt, aus Blut und die

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