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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

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Heft 9 (Juniheft 1925)
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Trentini, Albert: Was wird werden?
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0170

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träte ab, um — anderswie und anderswo weiterverwendet
zu werden! Wozu erst noch zu sagen ist, daß einem solchen Ende der
Menschheit kein „Erduntergang" zu früh kommen könnte; weil ja der
Glaubendeseinem Gott, der weder Zahl noch Zeit kennt, die selbstverständliche
Freiheit zumißt, sich bereits dann „vollkommen selbstverwirklicht" zn haben,
wenn nicht schon „alle" Menschen, sondern wenn etwa auch nur ein Ein-
ziger, gleichsam als Stellvertreter und Rechtfertiger aller anderen, die
nicht so weit kamen, das Gebot restlos erfüllt hat!

Also auch von diesem Blickpunkt aus gesehen, stellt sich die Synthese
als der Weg ans Ende dar! Wie wenig „ausgefallen" aber diese Folgen
von Vorstellungen sind, ja wie lebendig sie schon dem Geiste der Heutigen
angehören, mußte ich darin erkennen, daß mir während der letzten Monate
bei nicht weniger als fünf Verfassern verschiedenster Weltanffassung der gleiche
Gedanke begegnete, welchen einer von ihnen mit den Worten aussprach:
„Das Leben beginnt immer wieder von Neuem. Eines Tages aber wird
es diese Erde als Sprungbrett dazu gebrauchen, um sich von ihr aus in die
Mitte der Sterne Hinaufzuschwingen und dort ein neues, „anderes" Reich
zu begründen!" Albert Trentini

Vom Heute fürs Morgen

Deutsche Religton

^>b man von deutscher Religion
^sprechen darf? Gewiß nicht, wenn
damit eine Gegnerschaft zu irgend einer
anderen, etwa zur christlichen oder
zur mosaischen, zum Ausdruck gebracht
werden soll. Denn alle Religion
regelt das Verhältnis zum eigencn Ich
(in der Selbstachtung), zum Nächsten
(in Mensch, Ticr und Pflanze) und zu
Gott (im Kosmos, im All). Ienach-
dem eine Religion vom Diesseits oder
vom Ienseits ausgeht, macht sie die
Selbstachtung (wie dich selbst) oder die
Ehrfurcht vor Gott (»Dn sollst lie-
ben Gott, deinen Herrn!") zur Grund-
bedingnng aller übrigen Vorschriften
und Gebote.

Es gibt politische nnd rassische Rich-
tnngen in Deutschland, die von einem
Bankrott des Christentums in Europa
reden. Mindestens aber von einer
Wesenssremdheit und -feindschaft. Die
das behaupten, vergessen, daß das
Christentum vor tausend Iahren überall
in Europa offene Türen und Herzen
fand. (Das Franken-Bluturteil zu Ver-
den an der Aller scheint zwar dagegen
zu sprechen, tut es aber in Wirklichkeit
nicht: es waren politische Gründe,
weshalb die Niedersachsen vom bewaff-
neten Christentum des Aachener Karls

nichts wissen wollten, politische Gründe,
weshalb der znkünftige Romkaiser die
Iarle und Edelinge von der Ems,
Weser und Niederelbe köpfen ließ.)

Die christliche Religion hat, wie die
unverfälschte mosaische, denselben Glau-
bensgrnndsatz wie die germanisch-deut-
sche: zunächst Ausbau des eigenen Ichs.
Das hat, wie das Nazarener-Beispiel
vom barmherzigen Samariter beweist,
nicht das Mindeste zu tnn mit Egois-
mus, mit Ich- und Selbstsucht. Wer
sich für ein Ebenbild Gottes, für einen
individuell in Erscheinung getretenen
Gedanken Gottes hält, der duldet an sich
weder Schwäche noch Makel, der weiß,
daß jeder Mensch Gotteskind ist, der
empfindet, daß Gott selbst verleugnet
und gelästert wird, wenn wir achtlos
oder verächtlich, am irrenden, leidenden
Menschen vorüber gehen.

Diese Religion der Gottesliebe im
Nächsten ersehnten unsere vor tausend
Iahren von ihren Karlen und Iarlen,
von ihren Fürsten und Herzögen unter-
drückten germanischen Vorfahren, und
es lag nur an der Fremdheit und Ange-
schicklichkeit der christlichen Sendboten,
wenn die Lehre von dem um Liebe ge-
kreuzigten Erlöser und Gott nicht über-
all stürmischen Veifall und begeisterte
Weiterträger fand.
 
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