Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1925)
DOI Artikel:
Die Ziele des Kunstwarts
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0289

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext



Die Ziele des Kunsiwarts

Krampf der Zeik begi'nnk langsam sich zu enkspannen. Wir gewinnen
^ )allmählich so viel Abstand, um die KaLastrophe des Kriegs und die ihr
solgenden geistigen Wirrsale gerechker beurkeilen zu können. Jmmer deut-
licher Lrikt hervor, daß wir in Handeln und Ertragen Beispielloses geleistet
haben, und die knabenhaste Frage verstummt, ob uns dieses Schicksal ein lUa-
LurgeseH der GeschichLe oder unsere eigene Schuld auserlegte. Schon „hak uns
das Leben wicder", und eine höhere, hellere und vollere Zukunst scheint ausge-
breitet vor unsern Füßen zu warten, als wir vor diesen BiLLernissen uns vor-
stellen dursten. Das Flüssige des WerdeLriebs, der uns FahrzehnLe hindurch
als blinde Sucher vorwärLsgetragen hat, wandelk sich langsam in festen
Kristall; wir begreisen, daß wir zu genesen beginnen, und aus den Wunden
quillt uns die KrasL einer neucn GesundheiL empor.

Dennoch bleibk Prophezeien gefährlich, bleibk leichkfertiger OpLimismus ver-
boken. Übcr die gefrorene Fläche des Meeres sind wir alle geriLLen, davon kra-
gen wir Schaudern noch in uns. Aus den verziehenden Seebeln aber dringt die
Gewißhcit hcrvor: nicht mehr und nichk weniger ist geschehen, als daß sich das
Leben wicder einmal in den Tod stürzen mußke, um erneuk, und das heißk:
besser verstanden, aus einer höheren Skuse wieder zu erwachen.

Grausamkeiken schänden noch immer diese Erde. llngerechLigkeiten schreien noch
immer zum Himmel. Folter brandmarkL noch immer ungezählke Leiber und
Geister, und dennoch können wir uns nichk länger dem Glauben enkziehen: eine
neue Epoche fängk an. Wer immer aber diesen Glauben schon LrägL, der wird
und muß sich nun anschicken, den hossmmgslosen Bergewalkigken dessen BoL-
schask zu vcrkünden.

Zu solchcr Berkündung ist jeder heuke ausgernsen, der diesen Glauben hak!
Dreisach ausgerufen aber alle, die noch zu Menschen reden! 2llso auch wir,
die Leitung dieser ZeikschrisL.

Eines sragen wir zwar: HaL auch nur ein Einziger in der Schule der all-
seitigen Lügen, die wir durchmachen mußten, den Haß gegen das Work nichk
gelernk, wclches gcsprochen, geschrieben und gedruckk wurde, ohne noch vom
Leben ersüllk zu sein? Welche Lösung wäre heuke begreisticher als die: „Fluch
dem Papicr, dem geizigen Äusbewahrer von Zeichen, die keinen Sinn mehr
akmen, und hincin und zurück in das Leben, das sich allein vollendek und be-
weist, indem es gelebk wird!" WahrhasLig, in diesen Posaunenzorn ließe sich
sast die vollc Lehre des kaum Bergangenen gießen!

Dennoch wäre das innere GeboL, das uns heuke bestimmk, nichk ersüllk, wenn
wir nnr dicser Forderung solgken.

Tieferes liegk mis auf dem Herzen!

Die Verpstichkung, im crsten Dämmer nahenden Morgens auszusprechen, wel-
chen Dicnst wir von nun ab zu leisten gewillk sind. Wir haben nichk nötig,
Jnhalk und RichLung des alken KunstwarL-Werkes umzustoßen. Äber der
geistige Raum sür diescs Werk hak sich geänderk. Das KulLurwachsLum der
letzken Zahrzehnke schon hak den IMr-Kunst-WarL vorangetrieben, in das
Umfassen der Leistungen der KulLur überhaupt, und znletzt aller haupksäch-
lichen Äußerungen des Lebens. Rrun aber ist auch dieses geräumige Reich

Septcmbcrheft IA25 (XXXVIII, 12)

257
 
Annotationen