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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1925)
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Curtius, Ludwig: Zur Aphrodite von Kyrene
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Illing, Werner: Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0320

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einen festen Punkt gewonnen zu haben, so leuchtet wohl auch ein, wie
scharf sich diese Gruppe von den zahlreichen Varianten, der Anadyomene,
deren häufiges Auftreten im Bereich alexandrinischer Kultur sie doch wohl
als alexandrinisch Verstehen lätzt, abhebt. Mit diesen hat die Aphrodite von
Kyrene nur das allgemeine Motiv der Arme gemein, aber in ihrem plasti-
schen Charakter stellt sie eine ganz andere Persönlichkeit dar, in Wuchs und
Proportionen, in der Sinnlichkeit ihres Fleisches. Iene sind zarte, über--
schlanke, kaum noch zur Reife entwickelte Erscheinungen von einem das
Einzelne unterdrückenden allgemeinen Flächenstil.

Kehren wir wieder zu her Lheorie zurück, von der wir ausgingen, zu dem
Gegensatz der beiden Arten plastischer Empfindung. In der Arü wie an der
Aphrodite von Kyrene alle Formen gleichsam von innen heraus gewölbt
sind und innerhalb der herrlichen Gesamteinigung der Reliefs den höchsten
Grad greifbar räumlicher Realität erreichen, ist eine ausgesprochene Leistung
des Bewegungsstils erreicht. Die Linie der Entwicklung geht noch weiter.
Denn von den vielen Aphroditestatuen des Altertums kommt in diesem
plastischen Vermögen der „bewegten Form" nur eine der Aphrodite von
Kyrene gleich, die von Melos im Louvre. Man wird auch sie nicht ins
vierte Iahrhundert setzen können. Aber sie ist auch mehr als ein Werk
bloß kopierend umbildender „Renaissance", sondern eine ebenso selbständig
originale Leistung wie die Statue von Kyrene, deren äußeres Moriv so vielen
Werken ganz anderen plastischen Charakters gemein ist. Die Venus von
Milo kann von der von Kyrene zeitlich nicht allzuweit entfernt sein. Daß die
Künstler und die Dichter sie so lieben, hat seinen Grund in der Aberzeu-
gungskraft ihrer sinnlichen Bewegungsform, in ihrer Lebensnähe, aber zu-
gleich ruht sie in jener Idealität der künstlerischen Anschauung, in der
Sötterferne, die eben antik ist, und deren Ausdruck der Flächenstil ist, in
dem die Aspasia nicht nur, sondern jedes griechische Werk gedacht ist.

Ludwig Curtius

Musik

^^n der Landschaft vergleichen sich die Lbenen mit den sanften Hügeln
^T den ergebenen Friedezuständen der menschlichen Seele. Die Ebene
ist passiv. Sie sammelt gern Sonne in ihrem flachen Schoß. Den
Stürmen bietet sie kein Gerüst. Sie lebt und atmet Geduld. Duldung,
die bis ans Gespenstisch-Wesenlose reichen kann.

Das Gebirge aber ist versteintes Vorurteil. Eine gewaltsam festge-
rammte Meinung, Trotz, titanische Auflehnung gegen das Gesetz der An-
gleichung. Leidenschaftlich einseitig strebt es über den Gürtel gemäßigten
Begehrens hinaus. Es verkündet die Majestät ewiger Größe und ist doch
— ohnmächtig — dem Verfall in jedem Augenblick untertan.

Aber das Meer! Ein Charakter ohne berechenbare Absichten. Inbrün-
stig jeglicher Bewegung hingegeben. In jedem Pulsschlag seines Lebens
sieghaft. In Liebe schmeichelnd, in Haß vernichtend, in Selbstgenügsam-
keit verspielend: ein Weib von ungebrochener Kraft, grausam und zugleich
unendlich fruchtbar. Männer opfern sich ihm fast freudig, zu mindest
mit dem schweigenden Lifer erfühlter Naturnotwendigkeit. Ebenen und
Gebirge altern und sinken dem Meere zu. Das aber ist von steter Iugend.
Es erneut sich periodisch; es überwindet durch den Rhythmus der Bran-
dung die Starrheit der Felsenküste. Das Weiche wird über das Harte

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