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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

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Heft 12 (Septemberheft 1925)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0344

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vor derr manchen Königs. Sie fahren
auf Wiking, sammeln Schätze und
Heere, werden Kleinkönige manchen
Reiches. Die Könige haben viele
Frauen (auch die christlichen Könige!)
und infolgedessen viele Söhne, die
meist auswärts bei Ziehvätern auf-
wachsen. Ieder dieser Söhne wird
Kleinkönig eines aus- oder inländi-
schen Landesteiles und das Ziel seines
Willens ist: König von Norwegen zu
werden. Kaum ist der Vater tot, so
beginnen die Söhne, geübt durch Wi-
kingfahrten uud Anführerdienste, die
sie fremden mächtigen Königen leiste--
ten, — zwölfjährig schon begannen die
meisten ihre Kriegsfahrten! — ihren
Verwandten das Reich abzujagen. Die
Einigung, die der Vater erlangte, muß
stets der Sohn von neuem blutig er-
zwingen. Auf die Art wird zwar das
Land zerrüttet von Krieg, aber doch
in Kraft erhalten und stets vom stärk-
sten Manne regiert. Pietät vor Blut-
banden kennen diese starken, nerven-
losen Hünen nicht. Sclbst wo der
Sohn den Vater tötet, meldet sich
keine Stimme der Moral. Dennoch ist
dieses Land keineswegs unkultiviert.
Aber seine hohe Kultur ist der höheren
Kraft, dem Grundmotiv des Lebens
dienstbar. Könige selbst sind wegen
ihrer Handfertigkeiten berühmt. Sie
schnitzen selber in ihre herrlichen, rie-
sengroßen Schiffe ihr Zeichen ein und
kennen die Bautechnik genau. Auch die
geistig-kulturellen Fähigkeiten sind eng
gebunden an Kraft. Skalden, deren
schwer zu deutende Lieder von lang
geübtem Geiste zeugen, singen nur
Königstaten, die sie in den Schlachten
miterleben, selber kämpfend. Auch die
Zauberkunde dient einzig dem Macht-
trieb. Mitleid und Güte kommen in
diesem Buche nicht vor. Das Lhristen-
tum bringt sie nicht mit. Selbst wenn
Olaf der Heilige durch Handauflegen
Verwundete heilt, scheint nicht Güte
der Anlaß, sondern eher die Vorliebe
für Kraft, die Krankes beseitigen will.

Die Frauen dieser Welt sind im

Grunde nichts als männergebärendc
Zwischenglieder, als solche wohl ge°
ehrt, doch immer Besitz der Männer.
Ihr Wille ist auf Macht der Männer
und Söhne gerichtet. Wohl sind
einige von ihnen mächtig, haben Ein-
fluß und versammeln Ratgeber um
sich, aber sie sind nicht als Frauen
mächtig. Liebe ist Besitzenwollen. In
feinerer Differenzierung kommt sie
nicht vor, und als Harald Schönhaar
sich tief in die Leidenschaft zu Snä-
frid, der Lappin verstrickt, heißt es,
Zauberei sei der Grund gewesen, so
völlig fremd ist jenen Menschen ab°
hängig machende Leidenschaft der Ge-
schlechter.

Barbarisch mag all dies in solcher
Aufzählung unserem jahrhundertelang
von Ethik und Gefühl erweichten Ge-
müt klingen. Nnd doch ist in nns allen
heute noch eine laute Stimme, die
solche kraftgerichtete Wesensart bejaht
und erstrebt. Wenn wir heute von
einem Buche sagen: das ist ein star-
kes Werk, von cinem Menschen: das
ist ein starker Mensch, so ist es die
vorher gekennzeichnete Wesensart —
geistiger gerichtet, entsprechend der
Interessenverschiebung der Welt — die
wir bewundern. Den einheitlich-bedin-
gungslosen Lebenswillen, der aus die-
sen stählernen Helden von Lhule klar
und fröhlich leuchtet, wir lieben ihn
noch heute. Das Lhristentum rüttelt
seit Iahrhunderten an dieser eingebo-
renen Liebe. Aus fernstem Osten
kommt der Zauber höchster Geistigkeit,
die dem Leben entsagt und verschleiert
sie. Wir ahnen längst, daß Geist sie-
gen wird über die materielle Krast,
aber wir wollen uns nicht schwach
machen lassen, im Zwiespiel der
Ströme, die uns übcrschwemmen, son-
dern aus der stählernen Zeit von Thule
die Kraft ableiten, die uns hilft, den
Geist zu erringen.

Felix Niedner ist aufrichtig zu dan-
ken, daß er uns Snorris Königsbuch
durch seine vorzügliche Abersetzung zu°
gänglich gemacht hat. M. Vr.

Veranrworllich -.WolfgangSchumann, Dresden-Blafewttz. Mitleiter: Or. E. K. Fischer. Jn Öster-
retch verantwortlich: Hofrat Or. KarlGiannoni, Mödling b. Wien, Dorninikanergasse 18. Sendungen
für den Tcxt ohneAngab e eines PersonennamenSandie.Kunstwart-Leitung' inDreSden-
Blasewitz—Manuskripte nur nach oorhcriger Bereinbarung, widrigenfalls keine Verant-
wortung übernommen werden kann. — Verlag von Aeorg D.W. Lallwey, Druck von Kastner L Lallwey,
Buchdruilerei in München — GeschäftSstelle für Berlin: Georg SiemenS, vv 57, Kurfürstenftratze 8 ;
sür Wien: Buchhandlung des Wiener BolksbildungS-VereinS, V Stöbergafse 13.
 
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