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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

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Heft 1 (Oktoberheft 1925)
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Conrad Ferdinand Meyer: zum 100. Geburtstag des Dichters
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0020

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solche Zweipoligkeit nichk und deshalb blieb er auch Zelt selnes LebenS bel allem
Willen zum Drama Novellist, der Spielern und Gegenspielern die gleiche „historische
Gerechtigkeit" angedeihen ließ, weil er wußke: Alles Gegebene ist relativ ent-
schuldbar.

Walther Linden sieht in Meyers Werken Jndividualität und Schicksal, Diesseits
und Jenseits, Weltsinn und Gottergebenheit im unlösbaren Konflikt miteinander
und betont in seinem Schasfen den Gegensatz zwischen ästhetisch-konkreter und
ethisch-abstrakter Betrachtungsweise. Meyer mußte, wie Faesi es auödrückt, vieles,
z. B. daS Romanentum zeitlebenS ethisch verneinen, aber ästhetisch bejahen. Die
freche Renaissance stellte er der frommen Reformation gegenüber, daS Romanentum
dem Germanentum (beides hatte er ja im Blut!), die künstlerische Schöpferkraft
der Gewissenstat, die Sinnlichkeit der Sittlichkeit und M icheIangeIo war der
Heros der einen, Luther der der anderen Welt.

Für den Konstrukteur gibt es Lösungen, für den Historiker nicht. Meyer war
im Formalen Konstrukteur wie nur wenige, aber sein Weltbild war ein durchaus
geschichtliches, orientiert an dem auf keine Formel zu bringenden steten Wandel
seiner eigenen Seele. Seine Schwester Betsy schrieb darüber: „Näher oder
ferner bezieht sich seine ganze Lebensarbeit auf den größten Stoff des KünstlerS:
die geschichtlichc Entwicklung der Menschheit. Er suchte die Ursache und die Er-
klärung der historischen Wandlungen in den historischen Menschen. Wo anders
aber hätte er die menschliche Seele studieren können als in den Bewegungen seiner
eigenen?" Dcnnoch ist Meyer kein psychologisierender Beobachter seiner selbst.
Er konnte es nicht begreifen, wenn jemand ein Tagebuch führen mochte. Das
Bedürfnis nach Beichte war ihm fremd. War das Leben unzulänglich, so galt es,
jeweils der Wirklichkeitswelt eine Wahnwelt zu schaffen, die ihren Schöpfer glück-
lich machte. Seine Kunst war für Meyer Ersatz des Lebenö und zugleich sein
Gegensatz. Jn ihr konnte er die Zwiewesigkeit leidlos anschauend gestalten, an der
er in der Wirklichkeit so sehr litt. Und damit das Gesetzmäßige dieser Doppelnatur
weithin leuchtend in Erscheinung trete, bediente sich Meyer der Geschichte. Große
Zeiten, große Menschen hat er fast auöschließlich geschildert. Auch seine Böse-
wichter sind groß. Faesi macht die sehr richtige Bemerkung, Meyer habe sich im
Leben nie dem Bösen zugesellt, in seiner Dichtung aber mit Vorliebe BöseS ge-
schaffen und sogar die Heiligkeit verdächtigt. Derselbe Drang, der Richard Wagner
und Böcklin zum griechischen und germanischen MythoS, der MareeS zu seinen
menschlichen und tierischen Urkypen, der Nietzsche zum Übermenschen führte, brachte
Conrad Ferdinand Meyer zu den Helden und Heiligen des Mütelalters, der Renais-
sance und der Reformation, die er in Balladen und Novellcn al krssoo malte,
sino ira st sluclio, mit großer Distanz vom Allzumenschlichen, einzig bedacht auf die
Wahrung der großen Linien und der heldischen Tonlage. Aber dies Letzte, in den
Geschichtsromanen und Historienbildern der Eberts und Dahn, der Kaulbach und
Piloty die Hauptsache, war einem Meyer keineswegs das erste Anliegen, nicht
Selbstzweck, sondern Mittel. Aus der einzelnen geschichtlichen Begebenheü schloß
er auf die Weltgesetze, und indcm er gesetzmäßige Zusammenhänge aufdcckte, suchte
er Ruhe für seine eigene Seele. Jm Anblick der vergangenen Größe ertrug er
die Unzulänglichkeit seines eigenen Lebens besser. Er hatte nicht das Format eines
Michelangelo, aber den Blick für seine Größe und die Sehnsucht nach seiner
Schwingungsweüe, die in ihm geweckt wurde durch die italienische Reise. Vorher
toar er im HerzenSgrund ein Franzose gewesen, jetzt lebte er in der Welt Dantes
und Michelangelos und vertiefte den „RenaissanciSmus" seiner Gestaltenschau
gleich Jakob Burckhardt und Friedrich Nietzsche bis zur Herausbildung einer in
Form und Jnhalt sich deckenden Darstellungskunst. Der Größe des Vorwurfü wnrde
 
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