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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1925)
DOI Artikel:
Grahl, Franz: Die Oper in Deutschland
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0028

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Mottl, die alle ihren eigenen Bühnen treu blieben und NeueS nnt Dorliebe entdcck-
ten. Unter solchen Verhältnissen ist ein Niedergang der Oper freilich nicht abwend-
bar. Ohne eine zeitgernäße und zugleich zukunftreiche Kunst muß die Bühne in
fchlaffcr Routine und hohlem „Festaufführungs-Wesen" versinken.

Was kann gefchchen?

Erstenö: jede Opcrnbühne muß einen hochkünstlerifchen Musikdramatnrgen
haben, der eingereichte Werke nnabhängig und in absehbarer Zeit zu prüfen hat.
Jn den Bertrag jedeS Kapellmeisters muß die Verpflichtung aufgenommen werden,
sich auf Wunfch des Dramaturgen von diesem empfohlene Werke vorspielen zu lasssen.
ZweitenS: der K a p e I l m e i st e r muß seiner Bühne seine ganze Zeit und Kraft
widmen. Der Urlaub muß auf sachlich geboteneS Maß befchränkt bleiben, wozu
freilich die Doraussetzung ist, daß sämtliche deutfche Bühnen sich über diese Frage
einigen. Die Gagcn der Herren Dirigenten sind heute hoch genug, so daß kein
Grund vorliegt, Urlaub zu überflüssigen Gastspielreisen zu bewilligen. Dermögen
einige Modekapellmeister diesen „furchtbaren Zwang" nicht zu ertragen, so mögen
sie nach Amerika segeln. Für die deutfche Kunstpflege bedeutet das nichts! Es gibt
in Deutschland und Österreich genug Kapellmeister, die ebenso gut dirigieren wie
die Reklame-Virtuosen, und von wirklicher Liebe zur Kunst beseelt sind. Nicht anderS
steht eS mit dcn singenden Stars. DrittenS: Der Urlaub der Sänger muß
ebenso befchränkt werden, um einen ernsten Bühnenbetrieb zu ermöglichen. Vielleicht
würde dadurch die Zahl der hervorragendsten Solisten zunächst etwas vermindert.
Einige Gefchäftssänger würden das Weite suchen. Dafür würde die Luft reiner
werden. DaS Streben nach echter Kunst, das dem unverdorbenen deutfchen Sänger
immer am Herzen lag, würde wieder erstarken und die dringend notwendige Schei-
dung der Geister würde endlich eintreten. DiertenS: Das O r ch e st e r wäre in
gewissen Grenzen höher zu gagieren, die Solisten dagegen niedriger. FünftenS:
Zurückzudrängcn wäre unter allen Umständen daS Agentenwesen. Die Büh-
nenleiter müssen die Mitglieder ohne Zwischenhändler s e I b st engagieren. Sech-
stens: Staatliche und städtische Bühnenleiter müssen von ihren Auftraggebern ver-
pflichtet werden, jährlich eine gewisse Zahl von Neuigkeiten, vor allem deut -
schen Neuigkciten, zu bringen, und sei diese Zahl noch so klein.

Die vereinigtcn deutschen Bühnen könnten diese befcheidenen Reformen ohne beson-
dere Schwierigkeit durchführen. Trotzdem würden sie mächtig dazu beitragen,
das Opcrnwesen wieder auf die Höhe "vergangener Zeiten zu bringen und viclleicht
darüber hinaus zu steigern. Wenn der Dramaturg den Jntendanten und Kapell-
mcister entlasten würde, wenn eine ernsthafte Prüfung der eingercichten Kunstwerke
verbürgt wäre, wenn Kapellmeister und Sänger ihren eigenen Bühnen mit voller
Kraft dienten, wenn das Qrchcster zufriedengestellt wäre, hätten die heutigen, zwei-
fellos hochstehenden Jntendanten und Negisseure daö günstigste Arbeitsfeld. Wie die
Derhältnisse heute liegen, ist hingegen künstlerifche Arbeit maßlos erfchwert, ja, wie
gezeigt, fast unmöglich. Zu künstlerifcher Arbeit gehört vor allem Zeit und Ruhe,
Stabilität und Arbeitsfreude. Nur untcr solchen Verhältnissen kann die seichte aus-
ländische Reklamekunst zurückgedämmt, die echte deutfche und frcmde Kunst wieder
zur Führung gebracht werden. Nur so kann die deutfche Oper, die Hoffnung aller
ernsten schaffenden und ausübendcn Künstler und Musikliebhaber, in ihrer ganzen
Größe erstehcn. Franz Grahl

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