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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

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Heft 1 (Oktoberheft 1925)
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Schultze-Naumburg, Paul: Naturschutz und Industrie: Vortrag anläßlich des 1. Deutschen Naturschutztags in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0030

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uns aber zu nahe begeben, und uns etwa auf den Ast setzen, auf dem sich ein naiu
genießender Wandervogel niedergelassen hat, der der Ansicht isl, die Welt sei allein
dazu da, daß er drin spazieren ginge. Oder als Gegenspiel dazu den Stuhl wählen, auf
dem der Rechner im Büro sitzt, dcr hinter seinen Fabrikmauern nicht mehr die
grüne Wiese sieht. Worauf es hier entscheidend ankommt, ist: einen Standpunkt
zu finden, von dem aus die lebendigen Gesamtinteressen des Volkes in gleicher
Größe und überschaulich, aber doch noch immer als nahe Wirklichkeit sichtbar werden.
Unsere Versammlung ist dem Naturschutz gewidmet, und ich will daher nicht Eulen
nach Athen tragen, indem ich mit dem Schildern der Bedeutung der unberührten
Natur für den Menschen Zeit verliere.

Wichtiger dagegen scheint es mir hier, auf die berechtigten Lebensbedingungen öer
Jndustrie hinzuweisen und auf die Mittel und Wege aufmerksam zu machen, die
dahin führen, das Endresultat mit dem deö Naturfreundes zu vereinigen.

Wir alle wissen heute, daß auf der Ausnutzung einer hochentwickelten Technik die
Möglichkeit beruht, unö unter den übrigen Völkern zu behaupten und unsern
unentbehrlichen Lebensunterhalt zu gewinnen. Diese nicht gut wegzuleugnende Tat-
sache muß uns davor bewahren, auch nur in den Verdacht zu geraten, als wollten
wir der Jndustrie Steine in daö Radgetriebe werfen. Jn mancherlci Zeitbetrach-
tungen finden wir allerdings oft genug die Ansicht, daß wir unö in einer Epoche
der Überentwicklung der Technik und mit ihr der Jndustrie befänden, und in der
Tat lehrt uns ja jeder Blick in unser Land, daß hier irgend etwas nicht stimmt.

Um hier rasch zu erklären, was ich meine, lassen Sie mich ein altes volkswirt--
schaftliches Bild gebrauchen, das den Hauöhalt einer Nation mit dem einer Fa-
milie vergleicht:

Jn einem wohlgeordneten und gut eingerichteten Haushalt gibt es nicht nur Wohn-
und Schlafzimmer und einen Garten, sondern auch eine Küche, in der die Speisen
zubereitet werden, und je besser die Küchenräume eingerichtet und durch Neben-
räume wie Spülküche, Speisekammer, Leutezimmer und Keller verbessert und ver-
größert sind, um so vollkommener kann man den Haushalt nennen. Waö würde
man aber von dieser unserer Privathauswirtschaft sagen, wenn mit einmal die
Hausfrau anfangen würde, ihre Töpfe und Eimer über die ganze Wohnung zu
verstreuen, das Fett auf den Möbeln des WohnzimmerS klebte, in das Schlaf-
zimmer sich die Kohlgerüche ergössen, in den Kinderzimmern Wäsche aufgehüngt
würde, und die Köchin mik Johlen und Schreien das HauS in Verruf brächte. Man
würde sagen: die Frau isi eine Schlampe und versteht ihr Haus nichk in Ordnung
zu halten.

Ganz ctwas Ähnliches ist es, was wir heute neben einigem andern der Jndustrie
vorwerfen. Einmal, daß sie, anstatt blanke und schöne Arbeitsräume zu gestalten,
die Fabriken zu düstern Orten gemacht hat, in die kein Stern leuchtet. Zum
andern, daß sie sich rücksichtslos auf den Sofas unserer Wohnzimmer und den
Bänken unseres Gartens niederläßt und ihren Unrat auf die Wege wirft.

Das ist ein großer und schwerer Vorwurf, der sich zu einer bitteren Anklage ver-
dichtet, und es ist deshalb eine Forderung der Billigkeit, hier festzustellen, daß
die AuSnahmen der Regel heute doch schon häufig und häufiger zu finden sind und
damit den BeweiS liefern, daß das Endziel auch auf besseren Wegen zu er-
reichen ist.

Eine Frage, die sich hier aufdrängt, ist die, warum die Glei'chgewichtsstörungen erst
jetzt in unserem Zeitalter so empfindlich auftreten, und ob die früheren Zeiten von
ihnen verschont geblieben sind. Die Produktionsweisen sind ja an sich schon uralt,
denn seit dem frühen Mittelalter kennen wir die Metallgewinnung in Bergwerken,
ihre Verhüttung, den Gesteinsabbau, die Schnu'eden, Eisenhämmer und Mühlen,

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