Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1925)
DOI Artikel:
Bartsch, Rudolf Hans: Das Glück des deutschen Menschen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0051

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Wer, weit umher als deutscher Mensch, i'st glücklich? Und wer alö Nachbar dieses
erdrosselten, nicht besiegten Dolkes ist es?

Vi'elleicht noch di'e Hirten in den Bergen des Balkan.

Das Leben des Großstadtmenschen, wi'e es, bei'nahe immer und überall, dahmdöst,
wenn di'e blutigen Nasen beim Fußballgestöße ihm ni'cht einen kurzen, sadistisch zu-
sehenden Raubtierrausch verschafsen, dieses Leben des emgemauerten Westmenschcn
der Städte erschei'nt heute als ei'n Bi'ld, so troskverlassen und häßllch, wi'e etwa ei'ne
ganz schlechte Bahnhofswlrtschaft es bi'etet, in der ni'emand essen mag, der nicht muß.
An ihm aber, der drin fressen muß, zi'eht das ungeheure Leben donnernd vorüber
und er darf nicht hinaus; er muß bloß dessen Dreck und Rauch schmecken, darf uur
mehr dessen hofsnungsloS grauen Kohlenhimmel sehen. Dessen Absallschlacken sind
seine Landschaft.

Er kommt aus eincm vcrlornen Paradiese. Erinnerte er sich bloß, er hätte es wieder.
Aber cr hockt in dieser elenden Bahnhofwirtschast sein Lebclang. Denn er glaubt,
einmal käme der Tag, da entränne er ihm. Jm Schlafwagen erster Klasse. Und
ganz langsam wciß er es gar nicht mehr, daß er selber drin Kellnerdienste vercichtet,
in der öden Bahnhofwirtschast mit dem Zwiebel- und Bier- und Tabaksbrodem von
gestcrn.

Frechhin über die Bahnschiencn hüpfen die Spatzcn; si'e kamen aus den kornwellen-
wersenden Feldern der Provinz den Getreidesäcken nach, gehen aber, als richtige
Nutznießer dcs Menschen, wiedcr weg, wenn neues Getreide weit draußen für sie
nülchig und süß geworden ist. Der dort sitzt aber, er versteht ihre Lehre so wem'g, wie
jene der darüberhin blitzenden Schwalben, die zwitschernd über Nuß und Rauch
und Stank und Kohle und Schlackenleben lachen. Sie gehen weg! Sie haben Flügcl.
Ia; darum kann er ihnen nicht nach.

Kann? Jeder kann. Es gibt kcine herrlicheren Flügcl, als jene der Einbildungskrast. Sie
trägt zur Sonne und die ist in dir selber. Die Phantasie ist eine Wnnderlampe, die man
jedem Kinde lassen, ja anfachen sollte. Ach, was: für den Willensstarken sind schon
zwci wandertüchtige Beine besser, als Schwalbenflügel. Fort, hinweg. Aber nicht
nach einem neuen, andern Bahnhof des Wcstlandes, sondern dorthin, wo sie Wolken
o h n e Steinkohlcnschwadcn sehen! Nach Maria Einsicdeln, Czenstochau und Zell gin-
gen die Menschen ehedem wochenweit; unmittelbar zu Gott in dessen blaugsldneS
Reich ist ihnen ein Fußmarsch von einem Tage zuviel.

Mehr Zigeunertum!

Ja, eS ist nicht einmal nötig, Zigeuner zu sein wie der dcutsche, hoch-
solidc Zigeuner, Bruder Straubinger genannt, der bloß anderswo Arbeit snchte und
nun ebenfalls ausgestorben ist. Dor der Stadt schon liegt das wnnderbare, weite
Grün, in dem die Lerche das Wort hat. Ganz am Rande der letzten Zinsdrohhof-
mauern wiegt und wellt Gras, viel weiser als der Mensch.

Jmmer sagte ich, daß die Gottheit beständig zum Menschen hin bitte, ermahne, rede.
Aber weil sie keines der ZeitungSidiome kann und mag, so versteht den, der seine
Hände zum Menschen andächtiger hinfaltet, als je ein Mensch zu ihm, keine Seele
mehr. Weil es keine Seelen mehr zu geben scheint und kein bloß seelisches Glück.
Und doch ist es uns so leicht gemacht, eine glückliche Seele zu haben. Dcnn, zugleich
mit unserer crbärmlichen Lebenöordnung, ist uns die Gabe der Phantasie und der
Sehnsucht gcwachsen. Ja! Wir Modernen von heute haben einen völlig n e u e n
Sinn, einc völlig neue Glücksmöglichkeit geschenkt bekommen, von
dcr, zum Beispiel, die Antike noch keine Ahnung hatte, wenn man m'cht die paar
Eklogen eines feinsinnigen Dichters als erste Regungen jenes neuen Sinnes rechnen
will, von dem auch heute noch kein Bauer und kein Hirte etwas weiß, wohl aber der
Arbeiter in der Stadt. Ein Sinn, der uns allein gehört, der gerade uns Stadtmen-

42
 
Annotationen