Bildung llnd wirtschaftliche Blüte. Jm Besitz dieser Dinge verliert der durchschnitt-
liche Mensch die Überwelt sachte aus den Augen, die Zucht kommt ins Wanken, Treu
und Glaube schwinden, mit ihnen auch di'e vori'ge Geborgenhei't und Blüte. Was Ur-
sache des sozialen AusstiegS war, verliert sich in der vollen Entsaltung, und der Nieder-
gang beginnt. Auch i'nnerhalb der religiösen Orden, die mi't ihrer Stadtseelsorge den
natürlichen Gang der „Welt" zum Stehen bringen wollen, erfüllt sich doch daS
nämliche GeseH. Sie setzen ein mit der Losung deS Opsers und der Armut-Gesinnung,
sie erzeugeu hiedurch notwendig kulturelles Leben, und in seiner Fülle nun ersticken
die hohen Grundsätze deS Anfangs. Diesen Umschwung, dem alle religiösen Gemein-
schasten versallen, soweit sie sich zum Zwecke der Durchheiligung der Welt aus die
Mitarbeit an den Dingen der Kultur eingelassen, hat Schillcr im Hinblick auf den
Ritterorden der Malteser ausgesprochen. „Rührend erhabene Einsalt bezeichnet die
Kindheit deö Ordens, Glanz und Ehre krönt seine Jugend, aber bald unterliegt auch
er dem gemeinsamen Schicksal der Menschheit. Wohlstand und Macht, natürliche
Gefährten der Tapferkeit und Enthaltsamkeit, sühren ihn mit beschleunigten Schritten
der DerderbniS entgegen." Und dieses tragische Gesetz ist vom Mittelalter selbst mit
erstaunlicher Verwandtschaft deS Wortlauts ausgesprochen wordcn. Abt Cäsarius
von Heisterbach sagt im Anfang des iz. Jahrhunderts: „Der religiöse Glaube war die
Ursache des ReichtumS, der Reichtum aber hat den Glauben untergraben." Derselbe
Mönch anderwärts: „Zucht erzeugt den Überfluß, Überfluß aber, wenn man nickt
sehr auf der Hut ist, lockert die Zucht, und die Lockerung der Zucht vernichtet den
Überfluß." Und ein Mönch deS Klosters Prüm schreibt in einen Kodex, den er ge-
malt hat: „Der religiöse Glaube brachte uns die Reichtümer ein, aber die Tochter hat
die Mutter verzehrt."
Die Kreuzzüge sind nach außen ein Kriegsunternehmen von religiöser Zwecksetzung,
nach innen aber selbst nur der Austrag eines Kampfes seelischer Art, erregt vom
Zwiespalt zwischen der naiv-menschlichen Weltliebe und dcr religiösen Weltangst. Wie
hatte doch Bernhard von Clairvaur schon gezögert, mit Gott gerungen in seinem
Zweifel, ob er den Kreuzzug predigen solle: von serne, so scheint es, hörte er schon
die ungeheure Woge der Derweltlichung daherbranden, die der umkämpfte Osten alö-
bald aus den Westen in der Tat zurückgeworsen hat. sgn dieser Konsliktstellunig
Welt-Überwelt, die das Rittcrtum mit den geistlichen Gemeinschaften teilt, erfährt es,
das deutsche vor allem, nach der Seite seiner Weltlichkeit abermals das Schicksal
eines innern Zwiespalts, und dieser schwächt es an der Kraft zur Selbstbehauptung
gegenüber dem aufkommenden Bürgertum. Ehedem beherrscht vom gesellschastlichen
Jdeal der mäze, der sitkigen, schicklichen Zucht in der Formgebung des äußern Lebens,
war eS für kurze Zeit in eine phantastische Sphäre gehoben worden, begrisf eö und
ersüllte seine moralische Sendung in einer triebhast rohen, ungebundenen Welt —
man hätte sonst seinen Untergang nicht so sehr beklagt, als es wirklich geschehen ist
(so im Meier-Helmbrecht) — aber es rächte sich, daß dieses Jdeal, in Deutschland
wenigstenü, nur Maske gewesen, die der Allkag sich vors Gesicht nahm. Denn nur
nach außen gab sich das Leben höfisch, hochgesinnt, poetisch; nach innen ist eö unfein,
hauübacken und prosaisch. So erscheint der Minnesang beispielshalber als das Wider-
spiel der nüchternen, minnearmen Ehen. Wie die Kinder daheim spielen, die Mädchen
mit zieren Puppen, die Knaben mit turm'ercnden Rittersigürchen, so spielten Mann
und Frau ösfentlich die Dame und den höfischen Helden, daheim erging sich der
Ritter gern „mit sträubendem Haar, barschenkel und barfuß". Und wo das hösische
Wesen tiefer im Blute sitzt, wie im französischen Rittertum, ist eS die Wirkung und
wiederum die Ursache eineö Rückzugs von der religiösen Sphäre auf den sich selbst
genügenden Menschen und kehrt die tiessten, mächtigsten Kräfte und Wünsche des
Seelischen dem Menschen und den nienschlichen Dingen zu. So kommt es zwischen
liche Mensch die Überwelt sachte aus den Augen, die Zucht kommt ins Wanken, Treu
und Glaube schwinden, mit ihnen auch di'e vori'ge Geborgenhei't und Blüte. Was Ur-
sache des sozialen AusstiegS war, verliert sich in der vollen Entsaltung, und der Nieder-
gang beginnt. Auch i'nnerhalb der religiösen Orden, die mi't ihrer Stadtseelsorge den
natürlichen Gang der „Welt" zum Stehen bringen wollen, erfüllt sich doch daS
nämliche GeseH. Sie setzen ein mit der Losung deS Opsers und der Armut-Gesinnung,
sie erzeugeu hiedurch notwendig kulturelles Leben, und in seiner Fülle nun ersticken
die hohen Grundsätze deS Anfangs. Diesen Umschwung, dem alle religiösen Gemein-
schasten versallen, soweit sie sich zum Zwecke der Durchheiligung der Welt aus die
Mitarbeit an den Dingen der Kultur eingelassen, hat Schillcr im Hinblick auf den
Ritterorden der Malteser ausgesprochen. „Rührend erhabene Einsalt bezeichnet die
Kindheit deö Ordens, Glanz und Ehre krönt seine Jugend, aber bald unterliegt auch
er dem gemeinsamen Schicksal der Menschheit. Wohlstand und Macht, natürliche
Gefährten der Tapferkeit und Enthaltsamkeit, sühren ihn mit beschleunigten Schritten
der DerderbniS entgegen." Und dieses tragische Gesetz ist vom Mittelalter selbst mit
erstaunlicher Verwandtschaft deS Wortlauts ausgesprochen wordcn. Abt Cäsarius
von Heisterbach sagt im Anfang des iz. Jahrhunderts: „Der religiöse Glaube war die
Ursache des ReichtumS, der Reichtum aber hat den Glauben untergraben." Derselbe
Mönch anderwärts: „Zucht erzeugt den Überfluß, Überfluß aber, wenn man nickt
sehr auf der Hut ist, lockert die Zucht, und die Lockerung der Zucht vernichtet den
Überfluß." Und ein Mönch deS Klosters Prüm schreibt in einen Kodex, den er ge-
malt hat: „Der religiöse Glaube brachte uns die Reichtümer ein, aber die Tochter hat
die Mutter verzehrt."
Die Kreuzzüge sind nach außen ein Kriegsunternehmen von religiöser Zwecksetzung,
nach innen aber selbst nur der Austrag eines Kampfes seelischer Art, erregt vom
Zwiespalt zwischen der naiv-menschlichen Weltliebe und dcr religiösen Weltangst. Wie
hatte doch Bernhard von Clairvaur schon gezögert, mit Gott gerungen in seinem
Zweifel, ob er den Kreuzzug predigen solle: von serne, so scheint es, hörte er schon
die ungeheure Woge der Derweltlichung daherbranden, die der umkämpfte Osten alö-
bald aus den Westen in der Tat zurückgeworsen hat. sgn dieser Konsliktstellunig
Welt-Überwelt, die das Rittcrtum mit den geistlichen Gemeinschaften teilt, erfährt es,
das deutsche vor allem, nach der Seite seiner Weltlichkeit abermals das Schicksal
eines innern Zwiespalts, und dieser schwächt es an der Kraft zur Selbstbehauptung
gegenüber dem aufkommenden Bürgertum. Ehedem beherrscht vom gesellschastlichen
Jdeal der mäze, der sitkigen, schicklichen Zucht in der Formgebung des äußern Lebens,
war eS für kurze Zeit in eine phantastische Sphäre gehoben worden, begrisf eö und
ersüllte seine moralische Sendung in einer triebhast rohen, ungebundenen Welt —
man hätte sonst seinen Untergang nicht so sehr beklagt, als es wirklich geschehen ist
(so im Meier-Helmbrecht) — aber es rächte sich, daß dieses Jdeal, in Deutschland
wenigstenü, nur Maske gewesen, die der Allkag sich vors Gesicht nahm. Denn nur
nach außen gab sich das Leben höfisch, hochgesinnt, poetisch; nach innen ist eö unfein,
hauübacken und prosaisch. So erscheint der Minnesang beispielshalber als das Wider-
spiel der nüchternen, minnearmen Ehen. Wie die Kinder daheim spielen, die Mädchen
mit zieren Puppen, die Knaben mit turm'ercnden Rittersigürchen, so spielten Mann
und Frau ösfentlich die Dame und den höfischen Helden, daheim erging sich der
Ritter gern „mit sträubendem Haar, barschenkel und barfuß". Und wo das hösische
Wesen tiefer im Blute sitzt, wie im französischen Rittertum, ist eS die Wirkung und
wiederum die Ursache eineö Rückzugs von der religiösen Sphäre auf den sich selbst
genügenden Menschen und kehrt die tiessten, mächtigsten Kräfte und Wünsche des
Seelischen dem Menschen und den nienschlichen Dingen zu. So kommt es zwischen