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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1925)
DOI Artikel:
Bartsch, Rudolf Hans: Von der Gottheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0155

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drucksform für Übersinnliches nicht „Heiliger Wind", sondern heiliges Schwingnngs-
geheimnis. Von nnbekannter Seite wie der Wind kommt die Krast gesahren, und uns
bleibt nichts, als sie auf ihrem Wege mitten durch die Ewigkeit und Unermeßlichkeit
ein wenig aufzuhalten, in uns zu beherbergen, anzustaunen und ihr nachzusehen, wohin
sie am Ende möge?

Diese Krast ist da. Bloß bei uns steht es, sie zu lieben oder ihr den Rücken zu
drehen. Und das ist d as Geheimnis von Gorkis wunderbarem und so trioial crschei-
nendem Worte des PilgerS im Nachtasyl, der aus die Frage „gibt es einen Gott?"
antwortet:

„Wenn du an ihn glaubst, so gibt eS einen. Glaubst du nicht an ihn, so gibt
es keinen."

Noch viel deutlicher würde für uns Wissende dieses allsagende Wort durch die
bedingende Form: „Wenn du ihn wolltest, so gäbe cs einen."

Es gibt eine Talmudsage, welche dieses ganz crschreckend lebensvolle Geheimnis
cnthüllt. Jn einer Zeit sinkenden Glaubens trat ins Allerheiligste des Tempels von
Jerusalem der Hohepriester. Und, hinter den Vorhang getreten, sah er I h n. Er
schwebte, wohlgemerkt, selber mit den Jnsignien des Hohepriesters geschmückt, zwi-
schen'den Hörnern der Bundeslade oder zwischen den Cherubim und sprach zu seinem
Verwalter:

„Segne mich."

Die Elektrizität der Bundeslade, gewollt durch den ganzen ehernen Glaubens-
drang eines seelisch streng disziplinierten Bolkes, hatte nachgelassen. E r bedurfte der
Kräftigung, denn er ist Emanation menschlicher Sehnsucht. Ist cin Willenöstrom,
an dem dieses das Wunderbare ist: Er ist unser Vater und Crzeuger und wird zu
unserm Kinde, das wir zu ernähren haben.

Zu ernähren mit dem Derlierbarsten, Zartesten unserer Seele und zugleich mit
deren größter Krast: der Sehnsucht. Sehnsucht nämlich ist jene Phantasie, welche
seit Urbeginn alle Gestaltung schasst.

Jmmerhin. Er, der so gewollte Gott, ist der einzige Gott, der auch den MenscheN
göttlich macht. Jedem dient er ja. Dem Jngenieur tut er Dienste als Elektro-Geber,
dem Astronomen als Mathematiker, der Jungfrau von Lourdes als Hypnotiseur,
und so weiter. Uns aber, denke ich, die er schus und die ihn dasür wiedcrschasfen,
ist e r der Alldurchströmer, dem man in Äonen wohl immer näher kommen kann, aber
ihn dennoch nie ersaßt haben wird, ehedenn man ins Unbewußte gemündct. Jn
meinem „Lukas Rabesam" habe ich in diesem Sinne gesagt: „Nichts macht jünger,
gesünder und schöner, als immerfort an Gott denken".

Freilich, uns geht eö zumeist dabei noch viel ärger, als dem divinen Michelangelo,
der in verzehrendem Selbstgrolle diese herrlichen Worte schrieb:

„Us bavols clsl monäo m'banno tolto
II tempo, äuto a sontemplsr lääio".

(„Die Märchen dieser Welt haben mir die Zeit gestohlen, welche gegeben ist zur
Versenkung ins Göttliche".)

Wirklich: wenn ich nach einem Zweck des LebenS gefragt würde, ich könnte nichts
anderes antworten als dieses: „Wir sind in diese Welt gestellt, um zur Besinnung
zu gelangen".

Elohim, der Positivpol, solange w i r nicht sind, wird zum Negativpol der Lebens-
elektrizitäk, sobald wir unsern Jrrtanz durch die verwirrende Trugbilderwelt diescs
Lebenü angetreken haben. Das Feuer in uns strömt und strebt und wird erst wieder
frei, wenn unser Flämmchen uns verzehrt hat. Es -ist doch schön, zu denken, daß man
das in seinen besten Stunden gewußt und ihm zugelächelt habe: „Jch komme schon".
Es gibt eine Menge Vergleiche dazu: Man könnte sagen, wir Menschen seien die
 
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