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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1925)
DOI Artikel:
Trentini, Albert: Eine Neue Religion?, [1]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0176

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hier wende man nicht kritisch ein: Hochmut der Geister, öie sich öer Autorität deS
Gegebenen nicht beugen wollten! Denn die Unzahl religiöser Eigenbrötler und Kirchen-
seinde, Ketzerindividuen und Ketzersekten, und die Unzahl ihrer außerkirchlichen Gott-
deutungen — von der kaum abweichenden Sonderlehre bis zum philosophischen Sy-
stem hinauf — sind Beweis dafür, daß es neben dem kirchlichen ein außerkirch-
liches religiöses Leben gibt, welches sich srei nach allen Winden des Geistes
hin bewegt und nach Grifs und Anhalt zur Gottertastung sucht. Diese weitersuchen-
den Geister sind unruhiger, begieriger und waghalsiger als die anderen (natürlich
müsscn sie deshalb nicht auch die „gescheiteren" sein!); Unruhigsein, Begierigsein nnd
Wagemut im Geistigen bilden aber nicht Eigenschaften der Masse, und so kam
das wegwerfende Urteil zustcmde: „die Kirchen taugen nur noch dazu, den religiösen
Trieb der Herde zu stillen; dem selbständigen, dem gebildeten, dem wirklichen Gei-
stigen aber können sie nichts mehr bieten." Gegen dieseS Urteil ist man verpflichtet,
nicht nur die Geister ersten GradeS zu zitieren, die innerhalb von Kirchcn gelebt und
gewirkt haben und auch heute noch völlig organisch sich in ihnen entfalten; auch zwei
andere Wahrheiten sprechen dagegen. Die erste sagt, daß der Kern deö GuteS, wel-
ches eine lebendige Kirche verwaltet, naturgemäß nicht logisch erfaßbar,
sondern ein dem Unterbewußtsein der ganzen Menschheit gefühlhaft enthaschtes Sym-
bol ist. Symbol des an sich Unergründlichen, gegenständlicher Vertreter des Urge-
heimen, welcher linkisch und unbeholfen sein muß, weil er eben das Ungegenständ-
liche, Unsichtbare, Ungreifbare, Uncmssprechbare gegenständlich, sehbar, auffaßbar
und beredbar machen will. Wer nicht mit der Entschlossenheit dazu an die Betrach-
tung der Religion herantritt, auf ihrem Gebiete daS erste Recht nicht der menschlichen
Beschränktheit, sondern dem unbeschränkten Gotte einzuräumen, Gott das Unmög-
liche zuzugestehen, wo deS Menschen Möglichkeiten wie vor einer Mauer enden^
der lasse die Hände von diesen Symbolen! Er bringt sonst nur Plattheiten ;u Tage,
vor allem das würdelos dumme Geschimpfe über Religionen und Kirchen, Dogmen
und „Pfaffen". Man tröste sich vielmehr! DaS Kerngut der Kirchen ist schon nicht
von Pappe! Das katholische Meßopfer zum Beispiel ist in eine solche Fülle von
allerbesonderst katholischen Dogmennetzen und Geheimsinnmänteln cingehüllt, daß
davor selbst der Katholik nur eben „das Gebotene glauben zu müssen" sich entschließen
mag. Und dennoch enthüllt sich dieses erste und höchste Symbol katholischen Elau-
bcns, wenn es der außerkirchliche Religiöse von den dogmatischen Sonderhüllen be-
frcit anschaut, als die geradezu klassisch gelungene Dergegenständlichung des Ur-
und Enddranges jeder religiösen Suche: des Drangs darnach, den außerweltlichen
Gott und den weltlichen Menschen in die menschlich letztvorstellbare letztvollendete
Derei'nigung zu bringen.

Es kann also m'cht am Jnhalt dieses Symbols liegen, daß nur die Masse es be-
friedigt hinnimmt. Vielmehr liegt dies wahrscheinlich — außer an den Ansprüchen
anf Alleinrichtigkeit und Endgültigkeit — daran, daß die Kirche nur eine einzige
Fvrm verwendet, um diesen Jnhalt Allen, der Betschwester wie dem heiß
nach Gott Ringenden, a u s z u s a g e n. Davon aber, daß Kirchen hartnäckig an
eincr einzigen Form 2lllen ohne Unterschied gegenüber festhalten, ist nicht dogmatische
Starre die Ursache; vielmehr die Tatsache, daß sie sich naturnotwendig zunächst
auf die Bedürfnisse der Masse einstellen müssen, die ja viel größer ist als die Anzahl
jener „selbständigen, gebildeten, wirklichen Geistigen". Diese Vorzugseinstellung aber
beschäftigt ihrc Kräfte so sehr, daß nun nur noch ein Stück weltlicher Gewohnheit
Trägheit — dazu gehört, um sie jene Wem'gen vergessen und also auch in der
Fvrm starr werden zu lassen. (Schluß folgt.)
 
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