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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1925)
DOI Artikel:
Bernhart, Josef J.: Mittelalter und Gegenwart, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0195

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einer abgelaufenen Uhr und agiert an der Nolle eines Epleles fort, vor dem sich
der Vorhang schon gesenkt hat, weil der Weltgeist zu elnem neuen übergeht.

Kulturen si'nd manche schon vergangen, und von mehr als einer toi'ssen wi'r, daß sie
Krankheiten überstanden hat. Was unS hente davon unterscheidet, i'st die Einsicht
in die Unausweichlichkeit solcher Krisen, das Nachdenken über die Fragwürdigkeit aller
Menschenwerke und das Begräbnis all der mächti'gen Zweckbilder und Losungen, die
bis heraus zu den Schlagwörtern Allgemeine Wohlsahrt und Fortschritt jemals Wind
in die Segel der Menschhei't geblasen. Dahin und unerwecklich ist der Glaube, der
gerusen hat „zurück zur Natur", dahi'n auch der kulturselige Humanismus der besten
deutschen Zelt, dahin slnd die Wunschbilder der prophetischen Hossnung aus einen
künstigen Ausgang deS Reiches Gottes aus den emsigen Feldern des Jrdischcn. Jn
all dem Anfgraben der Vergangenheit ist ein bestrickender Schatz von Jnhalten, aber
auch ein ernüchterndes Wissen um die Spielregeln der Weltgeschichte auf uns über-
gegangen. Wir haben erkannt, daß die höchsten Werte der Menschheit nicht in Ein-
tracht neben- und miteinander bestehen können, im glücklichsten Falle nach kurzen
Stunden der Verträglichkeit in den Zwang geraten, einander aus dem Felde zn
schlagen. So weisen die Blüten der geistigen und ästhetischen Kultur hinab in die
lichtlos saulenden Gründe, aus denen sie Nahrung ziehen, und sozial gepreßte
Schichten stellen die Karyatiden der Paläste und Palastbewohner; so vereiteln Zeiten
sittlicher Strenge und Festigkeit den sinnlich schöpferischen Reichtum; so sehcn Reli-
gionen nach gewissen Zeiten den hohen reinen Glauben ihres Anfangs bestritten von
eben jener sortgehenden Erkenntnis, die einst von ihnen beslügelt worden zum Gange
in die Welt. Viele Einsichten solcher Art erschweren heute das Auskommen von Ge-
sichten und Utopien, wie sie nötig sind, um dem Treiben und Schassen der Völker
Einheit des Willens und Strebens und also auch Form zu verleihen. Der einzige von
einem großen Wunschbild befeuerte Borstoß in der Gegenwart, der russische Bolsche-
wismus, trägt die Züge des Schreckens, nicht der Erlösung, und verbreitet außcrhalb
des blutigen Schauplatzes seiner Entstehung alles, nur keine Hossnung und Liebe.
Vom amerikanischen Westen aber blickt zu uns Europäern ein Gesicht herüber, das
uns nichts weniger als die Morgenröte eines neuen, besseren Tages der Menschheit
bedeutet. Es sind wohl die vornehmsten Seelen deS Abendlandes, die lieber mit dem
wanken, kranken Europa zu Grabe gehen, als von dorther sich das Leben lehren
lassen. — So sind wir denn ohne die vorwandelnde Feuersäule eines Gottes, der die
Seinen sührt und die Augen aller aus sich sammelt. Geblieben aber ist uns die bange
Ahnung, daß nun der seurige Mantel des Völkerhirten sich den unerwachten Mil-
lionen zeige, den Söhnen Chams des Derfluchten, um sie heranzusühren aus
unser Erbe.

Jndes, wir haben zu wirken, solang es Tag ist. Sind wir, wenn auch unter vielen
Zeichen des NiedergangS, überhaupt noch gewillt, zu leben, und sei eö nur, wie das
Tier, um des bloßen Lebens willens, so ist Hossmmg, daß der geneigte Tag durch
Finsternis und Zusammenbruch noch einmal umschwinge zu neuem Tag. Unser
Wissen um die Krankheit bedeutet noch lange m'cht den Tod, und unsere Erkenntnis
der wiederkehrenden Formen des Steigens und SinkenS der Völker könnte unS ent-
giften von den Keimen des DerderbenS, wenn wir fatalistisch gegen Morgen statt
gegen Untergang blicken. Auch hier ists der Geist, der lebendig macht, und ists die
Seele, von melcher aus dem Gesüge des Lebendigen zu gebieten ist. Propheten der
Hossmmg, setzt die Tuba an! EuerPlatz aber ist die deutsche Mitte EuropaS -— von
der Höhe ihrer Trümmer blickt und ruft ihr weiter hin als anderwärts, und wenn
nöch ein neues Lied zu singen ist, ersteht es hier, wo die Herzen, Dank dem Himmel,
von vergangener und mehr noch künstiger Trübsal dem Reiche, das nicht von dieser
Welt ist, ausgetan werden.
 
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