Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI Heft:
Heft 4 (Januarheft 1926)
DOI Artikel:
Trentini, Albert; Molo, Walter von: Offene Briefe, [1]: Albert Trentini an Walter von Molo [und] Walter von Molo an Albert Trentini
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0229

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Wie Di> weißr, biu ich gcnügsamer als Dn. Jch erachke, daß die Menschheit heure
noch in dcn Windeln liegt, und daß sie dafür nicht derantwortlich gemacht werdcn
kann. Es gibt allerdings ein paar Einzelne, denen man es glauben kann, daß sie
schon ;um Gebrauch der Bernunst gekommcn sind; dem Rest aber — und ich finde
das gar nicht so traurig, wenn man es nur weiß — dämmern erst die AnfangSgründe.
Beginnen wir politisch! Nein, nein, ich rede nicht vom Land deutscher Sehnsucht;
ich habe jetzt nicht die geringste Sehnsucht darnach! Andere fchöne Tatsachen lasse
ich aufmarschieren: China ist unruhig, Jndien ist unruhig, Syrien ist unruhig, Ma-
rokko ist unruhig. Und Rußland, von dem man nicht gerade sagen kann, daß es
ruhig ist, grenzt an Alles, was Osten ist. Der Westen aber fühlt augenblicklich
locarnisch. Warum? Dieses ist die Frage! Und ich bin, bei meiner Ehre, dunim
genug, eS nicht zu wissen. Meine einzige Gabe ist, Natürlichkeitcn zu riechen, so
wie ich jedes japanische Erdbeben schon in Wien vorausspüre. Darüber hinaus
stehe ich so stark in der deutschen Kultur, daß ich mir nicht vorstellen kann, mit einer
nichtdeutschen Frau verheiratet zu sein; zugleich aber denke ich so übernational,
daß ich jedes Grenztum, jedes Monopol eines schäbigen Erdflecks, wie der Teufel
dic Seele haßt, hasse. Endlich aber habe ich die eingeborene Gabc, Menschen, die
ehrlich und vernünftig, also großzügig zu reden scheincn, für chrlich und ver-
nünftig zu halten; und sie darum allzu rasch zu lieben. So habe ich, offen ge-
standen, für Herrn Briand ein faiblc. Austen Chamberlain hingegen macht eö mir
fast schon ein wenig zu dick. Jmmerhin, warum soll nicht auch cinmal ein Eng-
länder in politicis ein Gentleman sein? Luther und Stresemann aber, nun,
du teilst ohne Zweifel meine Meinung: ich liebe auch die Fehler von unS Deut-
schen, aber regieren möchte ich in diesem Volk nicht um ein Königreich! Auch
nicht um eine Republik! Nun bin ich aber auch nicht der Ansicht, daß das Licht
aus dcm Osten kommen wird; überhaupt nicht des Glaubcns, daß es notwendig
von „wo anders" herkommen müsse. Aber wir Dichter, daran gewöhnt, zu machen,
was uns beliebt, und uns deshalb unausgcsetzt selbst einen Strick zu drehcn, sind
wahrscheinlich zu gewitzt, um gerade an das felsenfest glauben zu können, waS wir
ani liebsten glauben möchten. Und so frage i'ch mich denn immer wieder, indem
ich mir dabei wichtig den Kopf kraue: sind wir am Ende doch hineingefallen?
Reden wir also von der Kunst! Wei'l ich mir wenigstens einbilde, oon ihr daö
ABC zu verstehen, darf ich da ohne Skepsis reden. Jch laS zu meinem größten
Vergnügen, wie derselbe Mann, der vor zwei Jahren noch dem Expressionismus
ei'ne hundertjährige Entwicklung weissagte, heute so, als hätte eS nie einen andern
ExprcssionismuS gegeben als den der Kinder, Snobisten und Wahnsinnigen, die
„neue Sachlichkeit" für endlich angebrochen erklärt und als die heutigc Kunst-
Methode anpreist. Ich sehe in dieser Stadt, in welcher fast jede künstlerische Er-
pression Ton, jede dichterische aber zum Feuilleton wird, wenige Bilder und noch
weniger Plastiken. Jch sah aber im Frühling in Berlin, Dresden und München
ganze Reihen von Aiisstellungen des Erpressionismus, und nur die „alte" Sach-
lichkeit. Was ist nun die „neue"? Jüngst gelang es mir, ein paar Stilleben und
ein halb Dutzend Landschaften von dieser Art zu Gesicht zu bekommen. Recht hübsche
und gediegene „Expressionen von'Jmpressionen"; künstlerische Aussagen von Augen-
eindrücken. Dieses Rezept nun soll neu sein? Oder es wärc gar die Forderung neu,
daß der Expressionist dcr erfolgreichen Zukunft die Synthcse zwifchen dcr
„alten" Form und dcr neuen Rhythmik zu schaffen, deutsch gesagk (und diese For-
dcrung gilt für alle heutigen geistigcn Strebungen!) Scin und Werden zu ver-
mählen habe? Laß Di'r einige von diesen neuen Sachen zeigen, und dann sage mi'r, ob
sich nicht auch Dir vor ihnen das alte Wissen bestätigt: daß das Gem'e überhaupk
keine „Methode" braucht, um — als Dichter, Musiker oder Malcr — die Welt

210
 
Annotationen