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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

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Heft 4 (Januarheft 1926)
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Trentini, Albert; Molo, Walter von: Offene Briefe, [1]: Albert Trentini an Walter von Molo [und] Walter von Molo an Albert Trentini
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0231

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so ost, was ich von der Zllkunft des Soziallömus halte. Alö ob es nicht schon sonnen-
klar erwiesen wäre, daß nur eine Epoche wildester Berichung daö selbstverständliche
Prinzip deö SozialismuS in die Fornien eineS Partei-Monopols hineinzwingen konnte,
welche sein Wesen — wiederum nur egoistisch erfassen. Sehr bald schon, gib acht,
wird dieses Wesen diese Formen zerschlagen und sich als daö enthüllt haben, was
es ist: als eine religiöse, und nicht als eine politische, schon gar nicht aber äls
eine materialistische Angelegenheit. Weshalb ich mir sogar vorstellen kann, daß
dann — weil dann wahrscheinlich auch Menschen Könige werden können — ein
König einem sozialistischen Staate wird vorstehen können. Womit es sür heute
genug sein dürste!

Nein! Es ist noch nicht genug. Soeben bekomme ich von unserer Hauswirtin
am Achensee die Nachricht, daß jene drei Lärchenbäume am Eingang zur Tristenau,
unter welchen wir so ost des Abendö gelegen und am letzten noch das große Feuer
angezündet haben, gefallen sind. Jch habe, ehe ich wegging, dem Bauern, dem
sie gehörten, den Vorschlag gemacht, sie ihm abzukaufen. Aber der Kerl oerlangte
elf Millionen, und es ging mir wie bei jeder meiner großen Passionen: ich hatte
die elf Millionen nicht!

Walter, um drei Bäume sind wir ärmer geworden. Aber um alle Däume der Welt
laß uns reicher werden!

Walter von Molo an Albert Trentini

Berlin-Zehlendorf, am Z. Dezember ig2Z.
^ieber Albert, das wirö ein gutes Jahr werden, wenn Du gleich mit einer Lüge
^anfängst! Du Ethiker! Du datierst Dein Schreiben vom 20. Dezember, und heute
am H. Dezember habe ich eS erhalten. Natürlich mußtest Du mir so früh schreiben,
wenn ich am ich Dezember meine Antwort „druckfertig" haben soll. Umso mehr,
als ich ja in der Zwifchenzeit wieder zu einer Vorlesung nach Leipzig muß, wonach,
wie Du weißk, mein ganzer Sinn stehk! Unsere Briefe können also, wie ich nun
belehrt bin, immer erst einen Monat, nachdem der Antwortbrief fertig ist, ver-
öffentlicht werden, daher spreche ich Dich hiermit feierlich von Deiner Notlüge stei.
Aber immerhin — und drum bin ich hierinnen so breitspurig wie ein Epiker ge-
worden, der Goethes Altersstil nachahmt und deswegen „zeitgenössischer" Epiker
heißt — mußte ich daS erwähnen, weil eü unseren Lesern gut tuk, zu wissen, daß
man, in unserem Falle mindestens vier Wochen, voraussehen muß, damit sie
ctwaö sichtbar vor die Augen bekommen. Das auözusprechen und zu verkünden ist
wichtig, weil der Leser ja immer nach dem Augenblick urteilt und nie weiß, daß es
unsere verfluchte Verpflichtung ist, früher als er zu urteilen und zu taten. Daß
wir auf weitere Sicht eingestellt sind, das wissen wir schon länger, sonst hätken wir
doch nicht schon so viele Moden und GenieS überstanden — ich hoffe, noch viele
davon hinter mir verrecken zu sehen. Da in jedem deutschen Dokument eine „Nutz-
anwendung" stehen muß, möge unsere lauten: man kann nur dem Tag und seiner
Zeit dienen, wenn man voraus und weiter sieht und jede Zeit nur als ein Stück
der Ewigkeit mit deren Maßstäben in der Hand betrachtet.

Deine Weihnachts- und Neujahrswünsche erwidere ich dahin — niemand ist über
meine erzwungen prompte Antwort mehr gerührt als ich —, daß wir unser anmaßlichcs
„Voraussehen" weiter Lreiben wollen und müssen, nnbekümmert um die holden Ka-
lenderfeiertage wie Weihnachten und Neujahr, die wie der Sonntag und der Feiertag
und alle Feste, die sonst im Kalenderhirn stehen, heukzutage fast durchaus zu leeren
Äußerlichkeiten geworden sind. Wir brauchen nicht durch rot gedruckte Kalender-

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