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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI issue:
Heft 4 (Januarheft 1926)
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Trentini, Albert; Molo, Walter von: Offene Briefe, [1]: Albert Trentini an Walter von Molo [und] Walter von Molo an Albert Trentini
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https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0233

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Mlls „berechtigt" und „feierlich" ill ihrc Scheinrechte mit ethischen Phrasen einge-
setzt merden. Und tvir, die tvir garnichts mehr besitzen, die Ivir das Kapital stützen,
ohne eö zu besitzen, aus einfacher, echt deutscher Dummheit, nicht zugeben zu
wollen, daß wir jetzt alle entrechtete Proletarier sind, machen diesen Tanz mit.
Jnsoserne sind wir reingesallcn. Andererseits aber sind die seelische Verfassung und
die Wirtschastslage zurzeit in Deutschland derart, daß man bei der Vcrranntheit
aller, insolge der maßlosen Kriegsverhetzungen und Lügen, die jetzt immer klarer wer-
den, einsach nicht anders im Augenblick weiter kann, wenn man den einstigcn Feinden
nicht schristlich gäbe: wir sind ebenso gute Menschen wie ihr, wir dienen auch nur der
„Kultur", wir können wie ihr Phrasen von Menschlichkeit und Humanität machen.
Jm tiesen Sinne sind alle reingesallen und ist niemand reingesallen, denn letzten
Endes hängen Ebbe und Flut und die Gezeiten der Seelen und Völker nicht vom
Neden und nicht von Kongressen, nicht von unseren Willensaktionen ab, sondern von
viel tieseren kosmischcn Kräften, die wir ungefähr in der Art beherrschen, wie ein
Mensch, der sich zur Zeit deö Sonnenausganges vor die Sonne stellt und besiehlt:
„Gehe aus!", der sich zur Zeit des Sonnenunterganges gebieterisch vernehmen läßt:
„Gehe unter!" Ach was, laß sie schieben und machen, was sie wollen, eS wird ja
doch alleö so, wie eS werden muß, und ewiglich besteht der Satz: Der Mensch denkt,
und Gott lenkt! Eines ist auch möglich: Um sich gegen uns zu wehren, nehmen die
Dstvölker, dieses Wort im weitesten Sinne gemeint, immer mehr die technischen
zivilisatorischen Errungenschasten von uns auf, dadurch kommen sie immer mehr
zur Zivilisation und entsernen sich von ihrer alten Kultur, gemäß dem cwigen Ge-
setz von Abstoßung nnd Anziehung, von Druck und Gegendruck. Zufvlge der Pola-
rität könnten wir dadurch aus dem Wege sein, wenn wir früher vder später von
den Ostvölkern mit den von unS erworbenen Wafscn besiegt würden, unsere Zivili-
sation zu verlieren und dadurch wieder Kultur zu erhalten. Ob das ein Gewinn isl,
wenn die einen immer verlieren und die andern gewinnen? Es wird schon alles rechk
werden! Wie Gott will, lassen wir uns deswegen keine grauen Haare wachsen, die
wachsen schon aus anderen Gründen; alles was geschieht, ist richtig, sonst geschähe
es nicht! Die Weltkrast ist allmächtig und allwissend! Unser Tun ist ja doch
nichts anderes als ein Herumraten um das Weltenrätsel, daö wie die Kralle eines
Löwen handelt, in dessen Pelz wir als größenwahnsinnige Flöhe sitzen!

Du sragst mich nach der heutigen Kunst? Jch bin überzeugt, die große Kunst unserer
Tage ruht zurzeit „unverwendbar" irgcndwo in einer Schreibtischlade vder in einer
Dachstube, die Atelier heißt. ErpressionismuS, JmpressioniSmuS und wie der andere
Quark sich nennt, das sind alles nur Ausreden. Setzen wir dasür das Wort Per-
sönlichkeit, dann sind alle Jsmen sosort erledigt. Nur die Persönlichkeit, nie eine
Gruppe, wird den Endsieg haben. Die Persönlichkeit ist menschgewordene kosmi-
sche Kraft, gottverbundene Krast. Es gibt eben nur eine Humanität, die göktliche,
das cwige Stirb und Werde, das nicht „gut" und nicht „schlecht" kennt, das erkennen
läßt, daß es m'chts anderes gibt, als wahrhast zu sein! Wahrhast scin heißt, so
sein, und so schreiben, um aus unserem Gebiete zu bleiben, wie man wirklich ist.
Ob das „roh" oder „edel", „brutal" oder „human" genannt wird, ist unendlich gleich-
gültig. Das Gericht steht nicht dem Menschen, es steht der Ewigkeit zu. Auch in
der Kunst. Drum laß uns sortsahren, „brutal" das unsere zu geben, dann wird
schon alles recht wcrden. Leben und Kunst sind surchtbar einsach — wenn man auf
das Wesentliche draufgekommen ist! Das ist dem Unwahrhaften allerdings schwierig!
— ich bin so weit, nurmehr zu bilden und nicht mehr zu reden. Fünfundvierzig Jahre
habe ich dazu gebraucht, um mich von der letztcn Unwahrhastigkeit zu befreien,
jetzt aber, Albert, und wenn ich dran zugrunde gehe, jetzt weiche ich nicht mehr um
die Breike eines Stäubchens davon ab!

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