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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1914)
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Zeugnisse der Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0095

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Llsaß und Lothringen an Frankreich
zurückgegeben. Dann, statt daß
Frankreich seine afrikanischen Kolo«
nien verlöre, würden die deutschen
Kolonien in Afrika von Frankreich
und England einverleibt werden.
Sicher würde Deutschland seinen
Stützpunkt in China verlieren, dem
die deutsche Konzession durch Iapan
zurückgegeben würde. Welchen Vor«
teil Rußland gewinnen würde außer
seiner Befreiung von der Furcht vor
Deutschland und Österreich, können
wir nicht vermuten, aber ganz Polen
würde russisch werden und die Selbst-
verwaltung bekommen. Österreichs
Linbuße würde wahrscheinlich andrer
Art sein.

Das wichtigste Ergebnis der Me«
derlage Deutschlands aber würde fol-
gendes sein: wir dürfen annehmen,
sie würde das Ende der Dynastien
sowohl Deutschlands wie Österreichs
bedeuten. (!) Man erinnere sich,
daß Frankreichs Mederlage (870
Frankreich zur Republik machte, so
daß es niemals wieder von einem
König oder Kaiser beherrscht wird.
Wir können eine gleiche Folge er-
warten im Fall der Mederlage der
gegenwärtigen zwei tzerrscher. Sie
würden in ihrem eigenen Land alles
Ansehen verlieren und würden ver-
antwortlich gemacht für den Verlust
an nationalem Ansehen wie für den
schrecklichen Verlust an Eigentum
und Leben. Denn sie haben den
Krieg hervorgerufen; und dafür
müssen die Dynastien büßen. Die
Sozialisten sind bereits stark und ge-
fährlich in Deutschland und sie sind
bereits gegen den Imperialismus.
Sie würden alsbald eine Republik
erklären. In Österreich sind sie nicht
so stark, aber Rngarn ist nur lose
mit Österreich verbunden, und wenn
der politische Amsturz kommt, um
Österreich zu einer Republik zu
machen, so wird sich Angarn wahr-
scheinlich dafür aufnehmen, wie es
das früher in den fünfziger Iahren

unter Kossuth versuchte, dessen Sohn
gegenwärtig ein hervorragender
Führer der Ungarn ist. So wird
ein großer Krieg das erfüllen, was
(8^8 der Erfüllung so nahe war.
Europa würde ein Kontinent der
Republiken werden, denn wenn
Deutschland und Österreich aus ihre
tzerrscher von Gottes Gnaden ver-
zichten, so werden die kleineren Na-
tionen, Dänemark, Norwegen, ,
Schweden, Belgien, tzolland auch
anfangen zu überlegen, wie Nor-
wegen das schon tut, ob man nicht
lieber aus den Luxus eines Königs
verzichten solle. Selbst Rußland
geht vielleicht mit der Zeit, zumal
an der Seite der Sieger, und Italien
wird bald dem Beispiel ihrer süd-
europäischen Schwesternationen fol-
gen: Frankreich, Schweiz und Por-
tugal; auch der spanische Thron wird
wackeln. Nur der englische Thron
wird sicher sein, aber er wird nur
deshalb sicher sein, weil das Ober-
haus kräftig reformiert wird. Groß-
britannien wird eine Republik unter
einem dauernden Titularkönig sein,
weil dieser nicht wählbar ist, erhalten
als ein interessantes archäologisches
Aberbleibsel aus der Zeit, da man
ungehorsame Könige beseitigte. Das
liberale Ministerium wird lange
Zeit am Ruder bleiben, so wie
unsre republikanische Partei nach
dem Bürgerkrieg.

Dann wird die zivilisierte Welt
beherrscht vom Volke. Dann wird
es einen langen Völkersrieden geben,
nicht unterbrochen durch einen Krieg,
bis, was Gott verhüte, russische Un-
terdrückung oder angelsächsische An-
maßung China wachrüttelt und die
letzte große Gefahr der Welt, die
gelbe Gefahr, die Kaiser Wilhelm
erwartete, kommt. Aber sie wird
nicht kommen. Denn China wird
die westliche Zivilisation annehmen,
wie Iapan sie angenommen hat, die
bessern Kräfte des Westens, die den
Westen zu der Lehre vom Frieden
 
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