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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1914)
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Zeugnisse der Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0096

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und guten Willen bekehren, werden
doch eine Herausforderung oder
einen Angriff aus Westen verhin--
dern, werden den Sinn für Gerech-
tigkeit, Geduld und guten Willen
auch im Osten festigen, so daß mit
der Herrschaft der friedliebenden
Völker das Reich des Himmels kom-
men wird in die Republiken der
Erde.

So wird es schließlich kommen,
und es wird nur dann verzögert,
wenn die, welche die Mmpfe hervor-
riefen, Sieger bleiben sollten in die-
sem gewaltigen Krieg."

Dürfen wir lächeln über diese
blühende Stammtischphantasie? Man
ist versucht dazu, wenn man all den
geographischen und ethnographischen
Unsinn liest. Aber so schreiben
ernsthafte Leute in Amerika, die
nach ihrem eigenen Empsinden un-
parteiisch sind, denen man offenbar
auch keine Deutschfeindlichkeit vor-
werfen darf. So empfinden Mil-
lionen gebildeter Amerikaner. Wir
können nur wiederholen: es ist
unsre Schuld, daß wir das
Ausland nicht über deutsche
Zustände und Absichten recht-
zeitig aufgeklärt haben. Wo-
her sollten die Amerikaner unsre
politischen Probleme kennen, wenn
nicht von uns?

Das Interessanteste an diesem
Aufsatz aber, das, warum wir ihn
so ausführlich wiedergeben, ist: wie
die Anschauungen aus der eigenen
inneren Politik ganz schematisch auf
die Verhältnisse der gesamten Welt
projiziert werden. Das ist ein Feh-
ler, den auch wir gelegentlich machen.
Deutschland und Osterreich bewertet
der amerikanische Republikaner vor
allem einmal als Bollwerke der
Monarchie. Siegen sie, so herrschen
in Luropa die Monarchen. Unter-
liegen sie, so werden sie samt den
übrigen Staaten des Kontinents zu
Republiken — und damit bricht das
goldne Zeitalter an. Von dem

wirklichen Gehalt an Demokratie
in den einzelnen Staaten weiß man
nichts, man ist außerstande, die
Wirklichkeit etwa in Frankreich und
Deutschland miteinander zu ver-
gleichen; die Linrichtung, fast möchte
man sagen der Bame „Monarchie^
und „Republik" genügt, um die
Sympathie hierhin oder dorthin zu
leiten. Ls gibt kein andres Mittel
gegen solche oft für alle gefähr-
lichen Vorurteile als das Sich-ken-
nen-lernen der Völker. Das wird
eine der allerwichtigsten Aufgaben
sein „nach dem Kriege".

Das Weihnachtsschiff ans
Amerika

er Onkel aus Amerika, den wir
aus hundert Lustspielen kennen,
wird sich zu Weihnachten in ganz
besonderer Gestalt zeigen — eigent-
lich allerdings nicht der Onkel, son-
dern der Vetter. Denn es ist Iu-
gend, die diesmal als Spender guter
Dinge auftreten wird. Ein Ange-
nannter in Chicago hat den Gedan-
ken aufgebracht, der in den Ver-
einigten Staaten überall aufgenom-
men worden ist. Iung-Amerika soll
aus dem Frieden seines Landes her-
aus nach Europa Weihnachtsgrüße
senden für recht viel Tausende solcher
Kinder, deren Angehörige unter dem
Kriege leiden. Man fordert alle
Iungen und Mädchen Amerikas auf,
wenigstens für einen Strahl der
Freude in irgendein europäisches
Haus zu sorgen. Nun machen sie
Kinderspielzeug oder sie kaufen es
von ihrem eignen Geld, besonders
aber sind die Scout-Boys und die
Camp-Girls dabei, das ihre zu tun.
Natürlich unterstützen auch Erwach-
sene die Sache. Die Zeitungen sam-
meln die Geschenke, das Weiße Haus
fördert die Bewegung, und die Bot-
schafter und Gesandten aller Länder,
die im Kriege stehen, wollen dafür
sorgen, daß die Geschenke in die rech-
ten Hände kommen. Die Geschenke

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