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Kunstwart und Kulturwart — 28,1.1914

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1914)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14418#0261

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Sie stehen wie Tausendschönchen irn Grase, dachte er; zuerst merkt man
nur einige, aber wenn man den Blick still hält, entdeckt man immer mehr
und mehr, die halb zwischen Blättern und Halmen verborgen sind. And
er freute sich, daß er nnn durch diese Ahnlichkeit die Sterne besser zu ver»
stehen meinte als früher. Sonst hatte die Wölbung des Nachthimmels
ihn mit ihrer wunderlichen, kühlen und stummen Größe eher ein wenig
erschreckt. Wenn er von den Andachtsstunden heimgewandert war, da
waren ihm all diese Lichter wie ewige Ströme von Fragen erschienen,
die kaum in Menschenworte eingeschlossen werden konnten, aber dennoch
gleichsam von jedem Antwort heischten: Wer bist du, was lebt in dir?
Nun war er ihnen gut und begegnete, ohne mit der Wimper zu zucken,
ihrem Blicke. Lange lag er so, endlich schlossen sich seine Augen, und er
schlummerte ein.

Gegen Tagesanbruch, als es kühl wurde, ward er langsam aus seiner
bewußtlosen Ruhe gehoben, und ein Traum kam über ihn.

Er wurde emporgetragen. Wie es zuging, wußte er nicht, aber er fühlte
deutlich den tzauch der Luft um Glieder und Antlitz in leicht erschauernder
Betäubung. Der Kopf sank nicht zurück, die Füße hatten keine Schwere.
Aber sich sah er die SLerne, aber viel näher als je sonst, viel größer nnd
klarer. Sie waren ganz wie die Blumen geformt, mit denen er sie ver»
glichen hatte; jeder Strahl war eines der zahllosen Blätter, keines ganz
wie die anderen, wie klein sie auch waren. Ein jedes hatte auch seine
besondere Farbe, leuchtend weiß, mit rosigen und goldigen Schattierungen.

Er hatte sie nie zuvor so schön gesehen. Das ist die Schuld meiner
Augen gewesen, dachte er; wie glücklich bin ich doch jetzt, daß ich sie so
erkennen darf, wie sie sind! Aud hier und dort zwischen ihnen glänzteN
andere größere Blumen, wunderbare, niemals geahnte. Es waren zit-
ternde Flammen von Gold und Rot, zur Einheit zusammengeschlossen und
nach außen gebogen wie die Blätter der Rosen, ehe die Blüte eine ein-
zige Stunde entfaltet ist. Es waren leuchtende kleine Sonnen, die eine
ganze Welt von Leben in ihren Strahlenkreis zu bannen schienen. Es
waren Lilienblüten, weiß wie die Fackel des Morgenhimmels, mit bren-
nendem Lilienblut, das sich in seltsamen Zeichnungen nach innen zu
pochenden tzerzen zog.

Phocas konnte sich nicht satt sehen, und wie groß und wie fremd in
seiner Größe es auch war, so jubelte er doch allem in Wiedererkennen zu.

Ich verstehe sie ja, sagte er, ich bin ja stets unter ihnen einher-
gegangen, obgleich meine Augen damals zu trübe waren, um sie in all
ihrer tzerrlichkeit zu schauen. Bei ihnen habe ich mein Tagewerk gehabt.
Sie schienen damals gering, so wie meine Arbeit und ich, aber nun sehe
ich ja, was in allem lag. And er streckte die Arme aus, um sie an sichj
zu ziehen, um zu prüfen, ob Duft in den Blumen sei, und ihre kühle,
feine tzaut zu fühlen.

Seine tzand schlug hart auf feuchte Erde und Gestein, und er er-
wachte. Aber sich, aber viel weiter weg als in der Nacht, sah er den
tzimmel, bleich von dem Lichte, das heranzog, sah er die Sterne blasser
und kleiner, schwächer und zitternder, ferner, als er sie je zuvor gesehen.
Aber er lächelte noch dem zu, was er geschaut hatte; er kannte sie wohl
und nickte freundlich, ebensosehr zum Wiedersehensgruß wie zum Ab-
schied.

Er erhob sich und merkte, daß ihm sehr kalt war und er von Frost-
 
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