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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Jessen, Jarno: Raffael Schuster-Woldan
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0012

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RAFFAEL SCHUSFER- WOLD AN

Gegenwart, bemerkenswert gemacht. Raffael
Schuster-Woldan hat als Nachklassiker seine
Eigennote. Sie spricht aus seinen Vorwürfen
wie aus dem von ihm bevorzugten Indivi-
dualismus seiner Lieblingsmodelle. Er hat
seelische Feinfühligkeiten, ästhetische Bedürfnisse,
die in gleicher Differenziertheit von den Maeter-
link und Hofmannsthal empfunden werden.
SeineAphrodite nimmt zuweilen etwas pariserische
Mondänität an, und seine Bildprobleme, wohl
gerade der Werke, die seinen Namen am stärk-
sten einprägten, bergen Sensationen, die an
spannende Momente der Prevost und Mau-
passant erinnern, ohne daß wir eine klare Formel
zu präzisieren vermöchten. Und in diesem Nicht-
faßbaren, diesem Rätselhaften liegt ein beson-
derer Magnetismus des Künstlers.

Trotz der unholden Zeit sind ihm die Par-
zen doch wohlgesinnt gewesen, denn sie be-
reiteten seiner Anlage fördernde Umstände.
Ein Elternhaus, in dem die schönen Künste
durch seinen Vater, einen Juristen und fein-
sinnigen Poeten, gepflegt wurden, der hoch-
begabte ältere Malerbruder Georg, eine sorgfältige
Gymnasialbildung halfen das Gentlemantum
in ihm schulen, dessen Stempelung seiner ge-
samten Kunst mitgeteilt wurde. Die Sphäre,
die ihn von kleinauf umgab, und die er sich
dank des Gnadentums seiner Anlage in immer
gewählterem Maße zu schaffen wußte, bot
seiner Produktion den rechten Zeugungsboden.
An dem Freundeskreis, der ihm immer ein Lebens-
bedürfnis war, lernen wir die hohe Innenkul-
tur dieses Malers am besten ermessen. Die
vornehm fühlenden Frauen und Männer braucht
er für seinen intimen Gedankenaustausch. Musik,
Tanz und Poesie in edlen Formen kann er als
Anregungen nicht entbehren und gegen die
nicht taktvollen Atelierbesucher ist er höchst
empfindlich. Es verkehrt sich gut mit dem
liebenswürdigen, gesellschaftlich sehr gewandten
Mann, dessen Rede nicht sprudelnd quillt, der
doch Feines zu sagen weiß. Mit dem Bruder
gemeinsam betrat er vorerst das Kunstreich.
Mit ihm wanderte er in den Sommermonaten
durch fränkische Städtchen und füllte die Skizzen-
bücher mit echten Anschauungserlebnissen. Mit
ihm studierte er bei Frank Kirchbach, dem
Piloty-Schüler, und Beide gehörten zu dem
Fähnlein der Getreuen, die dem Meister, bei
seiner Berufungais Leiter desStädelschen Institutes,
nach Frankfurt am Main folgten. Hier durften
sie im glänzenden Atelier und im Garten nach
Modellen malen, aber sie spürten keine Ent-
wicklung der persönlichen Anlagen, die nach
Entfaltung verlangten. Schon ein halbes Jahr
vor Georg trieb es Raffael auf die Akademie
nach München, um seine zeichnerische Grund-

lage fest zu erarbeiten. Fortan trennten sich
die Wege der Brüder. In der Internationalen
Kunstausstellung in Paris machten die male-
rischen Vorzüge Leibis und Munkacsys starken
Eindruck auf Raffael und immer neuen Ge-
winn trug er aus Italien, vor allem von den
Hochmeistern der Renaissance heim. Von hier
aus ist ihm die definitive Wegrichtung mit-
gegeben worden, und ob er sich seitdem in
hellen oder dunklen Tonharmonien, als Phantasie-
künstler oder Portraitist ausspricht, er setzt
die vornehme Reihe der romantischen Klassiker
fort, die zum stolzen Grundpfeiler der deutschen
wie der französischen Kunst gehören. Wir
wissen, daß in Raffael Schuster-Woldans Leben
auch das ernste Schicksal blickte, er genoß den
Rausch früher und starker Erfolge als Aus-
steller der Münchener Luitpoldgruppe, aber der
Mißklang persönlicher Beziehungen warf tiefe
Schatten auf sein Gemüt. Sie verstärkten einen
Hang zum Grüblerischen, und es dauerte Jahre,
bis die zartbesaitete Künstlerseele durch inten-
sive Arbeit wieder den festen Anschluß an das
Leben fand. Ein Staatsauftrag zur Ausmalung
des Bundesratsaales im Berliner Reichstags-
gebäude hat ihn zur Übersiedlung in die Reichs-
hauptstadt veranlaßt. Hier haben ihm seine
künstlerischen und menschlichen Vorzüge bereits
wieder den konformen Freundeskreis geworben.
Er erhielt die Professur, die Mitgliedschaft der
Akademie und die nach Woldemar Friedrichs
Tode erledigte Lehrstelle für Raummalerei an
der königlichen Kunstschule der Akademie.

Das Heim des Künstlers sagt viel für seine
Geschmacksrichtung aus. Er empfängt in einer
Porträtgalerie eigner Schöpfung, die an den
Grandenstil venezianischer Klassiker erinnert.
Allerlei trauliche Bürgerlichkeiten gibt es dann
auch auf dem Wege zum Atelier, aber die
Sphäre hat gewisse Züge des Milieus, das der
größte aller romantischen Klassiker unserer Zeit,
der Engländer George Frederick Watts, als
Lebensbedürfnis für sich ausgestaltete. Dieser
Riese ist mit dem anmutvollen und aparten
Troubadour Schuster-Woldan nicht in eine
Reihe zu stellen, aber erstaunlich sind gewisse
Ähnlichkeiten Beider. Auch in den Berliner
Wandgemälden gibt es gewisse michelangeleske
Anläufe, aber es sind nur Anläufe, und sie er-
scheinen als Nachempfindung, nicht als Zwang
des Genius. Auch durch das gesamte Schaffen
unseres Malers zieht sich das Entzücken an
dem edlen Menschentyp, speziell dem Frauen-
antlitz, das dem der Sodoma und Veronese an
holdseligem Adel nichts nachgibt. Zuweilen
finden sich auch die übergroßen Frauenhände
und Füße, die die statuarischen Weibgestalten
des Watts mit eigenartiger Schwere belasten.

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