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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Poritzky, Jakob E.: Die künstlerischen Probleme der menschlichen Gestalt
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Literatur
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0767

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DIE KÜNSTLERISCHEN PROBLEME

baren, ist zweifellos. Besonders die Kunstwerke zei-
gen uns, daß die menschliche Erscheinung immer
einen gewissen geistigen Zustand oder eine gewisse
Stimmung mitteilen kann. Man denke nur an die
Gestalten der Mediceergräber, wo das Mimische
fast ganz nebensächlich behandelt ist, die Körper
aber dennoch in jeder Linie bedeutungsvoll, stim-
mungsreich und charakteristisch sind. Unter den
modernen Künstlern läßt dies Rodiii am besten er-
kennen.

Mit welcher Stärke das Psychische aus den Be-
wegungen spricht, läßt sich an jedem echten Kunst-
werk erweisen; ich erinnere nur an die Kopihaltung,
die Trauer, Ekstase oder irgendeine andere Em-
pfindung aufzudrücken vermag. Aber das ist eine
ganz moderne künstlerische Erkenntnis; denn
während auf alten Gemälden, die z. B. den Tod
Christi darstellen, Maria ihr schmerzdurchfurchtes
Antlitz immer dem Beschauer ganz zuwendet — ein
gramzerwühltes Antlitz, in welchem die Tränen per-
len oder in dem sie schon tiefe Rinnen gegraben
haben — um gleichsam jeden Zweifel an ihrem
Gram im Beschauer zu entkräften, begnügt der
moderne Künstler sich damit, den Körper in einer
Bewegung zu zeigen, die den höchsten Schmerz
a h n e n läßt (z. B. die „Pieta" von Böcklin), ob-
wohl man vom Körper nichts anderes gewahrt, als
die Gewandung, die ihn umhüllt,

Ebenso kann die Körperhaltung wiederum für
ganze Stilperioden charakteristisch sein; so bei den
einzelnen Epochen der griechischen Kunst, die ge-
wundene Stellung der Gothik, die energische gerade
Haltung in der italienischen Renaissance, das Drehen
und Winden der einzelnen Glieder der Sklaven des
Juliusgrabes, das dann charakteristisch wird für die
ganze Barockkunst.

Wie einen Rhythmus der Linie gibt es auch einen
Rhythmus der Bewegungen, Michelangelo bleibt
auch in den gequältesten Verschränkungen rhyth-
misch, Dürer auch in einfachen und ruhigen Bewe-
gungen so unrhythmisch wie möglich.

Ein empfindungsfähiges Beobachten aller der
hier angegebenen Momente führt dazu, einen deut-
liehen Eindruck, eine bewußte Empfindung von dem
Künstlerischen zu bekommen. Es bringt uns zugleich
eine tiefere Note zum Bewußtsein, die in den Kunst-
werken verborgen liegt.

Literatur.

Die altdeutschen Maler in Süddeutschland. Von

Helene Nemitz. Mit einem Bilderanhang.
(„Aus Natur und Geisteswelt". Sammlung wissen-
schaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen aus
allen Gebieten des Wissens. 464. Bändchen.) Ver-
lag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin.
1914. Geh. 1 Mk., in Leinwand geb. 1,25 Mk.
Während die hochragenden Architekturdenk-
mäler des deutschen Mittelalters jedem Gebildeten

von Jugend auf bekannt sind, wissen über die nicht
weniger bedeutsame Entwicklung der altdeutschen
Malerei nur wenig Bescheid. Wer aber einmal vor-
urteilslos sich mit dem Wesen und der Eigenart
dieser Künstler näher vertraut gemacht, wem sich der
Bück auf die Frische ihres Empfindens, für die Ur-
sprünglichkeit ihrer Formgebung erschlossen hat,
wird staunend gewahr werden, daß das kraftvolle,
tiefinnerliche Gefühlsleben jener Zeit kaum irgendwo
eine künstlerisch reinere Ausprägung und Verklärung
gefunden hat als in jenen schlichten Bildern, in denen
naiv frommer Sinn dem Ewigen Gestalt zu geben sich
bemühte. Mit lebhafter Freude begrüßen wir deshalb
das jüngst erschienene Bändchen von H. Nemitz:
„Die altdeutschen Maler in Süddeutschland", das in
überaus ansprechender Form den Versuch macht,
Verständnis für das Wesen und die Größe jener
schlichten Kunst und dadurch Sinn für die in ihr sich
offenbarende Schönheit zu wecken. Sehr geschickt
weiß die Verfasserin dabei den Zusammenhang der
einzelnen Meister mit ihrem Volkstum, mit dem
Denken und Fühlen ihrer Zeit klarzulegen. Nach
einer feinsinnigen Würdigung des Charakters und der
Stellung der Malerei innerhalb des gesamten mittel-
alterlichen Kunstschaffens erfahren die einzelnen
Meister (Schongauer, Herlin, Holbein d. Ä., Grüne-
wald, Baidung Grien, Altdorfer, Dürer, Holbein
d. J. u. a) und ihre Schulen eine liebevoll eingehende
Besprechung. Durch wohlgelungene Bildertafeln
werden die Ausführungen trefflich unterstützt. Allen
Kunstliebhabern sei das Bändchen warm empfohlen.

„Frankenland". Herausgeber: Archivar Dr. Hans
Walter, Kreuzwertheim a. M. (Ufr.), Verlag K.
Triltsch, Dettelbach a, M. (Ufr.). (3 Hefte 1,70 Mk.,
12 Hefte 6 80 Mk.)
Soeben ist Heft 4 erschienen, in dem der Direktor
des Polytechnischen Zentralvereins in Würzburg,
Herr Professor Moser, einen allgemein orientierenden
Aufsatz über die Bau- und Handwerkskunst in Unter-
franken im 18. und 19. Jahrhundert veröffentlicht.
Der mit zahlreichen Abbildungen geschmückte Ar-
tikel gibt eine Menge beachtenswerter Anregungen
für moderne Bauten, denen hoffentlich Anerkennung
und Nachfolge nicht versagt bleibt.

Dr. Alberts Aufsatz: Jugend- und Studienzeit
der beiden Würzburger Bischöfe aus dem Hause
Schönborn findet mit der hochinteressanten Schilde-
rung des Aufenthalts im Collegium Germanicum zu
Rom seinen Abschluß. Ebenso der Artikel von Dr.
Solleder: Hexenwalm und Zauberei in Franken. Von
anderen Beiträgen sei noch der Bericht über neuent-
deckte Wandgemälde im alten Hospital zu Mosbach
erwähnt. In den nächsten Nummern erscheinen hoch-
interessante Arbeiten von Konservator Dr. Hock und
Konservator Aug. Stoehr, beide mit kunstvollen
Tafeln in Duplexdruck illustriert. Das Juniheft ist,
um mehrere Bogen verstärkt, mit einer großen Zahl
wertvoller Beiträge der Jahrhundertfeier Würzburgs
gewidmet.

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