Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

DOI article:
Ein Bilderbuch aus dem alten Wien
DOI article:
Zimmer, Hans: Karl Woermann: zu seinem 70. Geburtstage
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0742

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
EIN BILDERBUCH AUS DEM ALTEN WIEN

Diese letztere Empfindung mag vielleicht unter
dem Einfluß der Urteile, die ich zu Hause über
Schwind hörte, zustande gekommen sein: er
sei wohl ein großer Zeichner, könne aber nicht
malen; ein Urteil, das ja im gewissen Sinne
seine Berechtigung hat. Daß Schwind aber
von seinen Freunden, die dieses Urteil fällten,
keineswegs unterschätzt, auch in seiner Art
vollkommen richtig beurteilt wurde, kann man
an der Einleitung sehen, die Fe uchtersleben
zu dem berühmten „Almanach von Radierungen"
geschrieben hat. „Die Art unseres Künstlers",
heißt es dort, „ist nicht so eigentümlich, daß
man sagen darf: er habe einen eigenen Kunst-
zweig gebildet ..." mehr als bei anderen
wird bei ihm „die Kunst des Gestaltens zur
Dichtkunst, doch so, daß die Gestalt noch
immer Hauptzweck, die Schönheit noch immer
Gesetz bleibt". Man kann Schwind unmöglich
in wenigen Worten treffender charakterisieren.
Bedenkt man, daß hier „Schönheit" sicherlich
im Sinn von „klassischer Schönheit" verstanden
ist, so findet man damit auch schon ganz
richtig angedeutet, was Schwind von zahlreichen
ähnlichen Künstlern, etwa Ludwig Richter,
Spitzweg und anderen, unterscheidet und
über sie hebt: Das Gefühl für den großen Stil
im Volkstümlichen und Genrehaften, im Lieb-
lichen wie im Phantastischen, das was die
alten Italiener den gran gusto nannten und
was der Schwindschen Kunst den raffaelesken
Zug verleiht. Dafür hatte ich schon als Kind
eine ausgesprochene Empfindung; an einigen
guten Kopien und Stichen nach italienischen
Meistern, die in unserer Wohnung hingen, wie
auch an der Schnorrschen Bilderbibel, die
ich damals oft und oft betrachtete, endlich an
Abgüssen antiker Köpfe und Statuen hatte ich
mir eine Art Ideal gebildet, das ziemlich
„klassizistisch" war und dem beispielsweise
die Holzschnitte von L. Richter in den „Volks-
büchern", die ich damals auch schon besaß,
keineswegs entsprachen. Was an diesen und
auch an den guten Altdeutschen, selbst Dürer,
zu schätzen ist, habe ich erst viel, viel später
begriffen".

KARL WOERMANN. ^^mm^mmm
ZU SEINEM 70. GEBURTSTAGE.

VON DR. HANS ZIMMER - LEI PZIG.
Mitten im vornehmen Villenviertel hinter dem
Hauptbahnhof zu Dresden, in der stillen Hübner-
straße zwischen lauschigen Gärten steht das ge-
räumige Haus, in dem Karl Woermann, der hoch-
angesehene Kunstgelehrte, nach Niederlegung seines
Amtes als Direktor der Königlichen Gemäldegalerie
in ergiebigster literarischer Wirksamkeit an der Seite

seiner feinsinnigen, verständnisvoll sein Schaffen mit
warmherziger Anteilnahme begleitenden Gattin und
einer hochbegabten, liebenswürdigen Tochter der
Unabhängigkeit genießt, die ihm ein gütiges Schick-
sal bescherte.

Am 4. Juli dieses Jahres wird er — sein
frisches Aussehen und seine jugendliche Rüstigkeit
möchten den Berichterstatter am liebsten Lügen
strafen — seinen siebzigsten Geburtstag begehen.
Von Hause aus war er Jurist, aber der junge
Advokat in seiner Vaterstadt Hamburg verwandelte
sich bald, innerster Neigung gehorchend, nach aber-
maligem Universitätsstudium in einen Heidelberger
Privatdozenten für Kunstgeschichte und Archäologie,
ausgedehnte Reisen sicherten ihm die eigene An-
schauung der wichtigsten Studienobjekte seines Ge-
bietes und damit die unbedingte Selbständigkeit
seines Urteils, wertvolle wissenschaftliche Veröffent-
lichungen bahnten ihm den Weg zu einer außer-
gewöhnlich glänzenden Laufbahn: schon 1873 wurde
er als Professor an die Kunstakademie zu Düssel-
dorf, 1882 als Direktor der berühmten Gemälde-
galerie nach Dresden berufen. Am 1. April 1910
trat er von diesem Amte zurück.

„Schauen und Schaffen" lautet der Titel einer
der prächtigen Gedichtsammlungen des schon bei
Lebzeiten viel zu wenig gekannten, nach seinem
Tode wunderlich rasch fast völlig vergessenen
Albert Moser, der lange Jahre in Woermanns un-
mittelbarer Nähe gelebt hat. Schauen und Schaffen,
das sind fünf Jahrzehnte hindurch auch Karl Woer-
manns wichtigste Lebensbedingungen und Lebens-
äußerungen gewesen, das Schauen vorwiegend auf
seinen Studienreisen, das Schaffen in der Ver-
arbeitung der Ergebnisse dieser Reisen, Schauen und
Schaffen zugleich in seinem Wirken als Dichter.
„Erlebtes und Erschautes" heißt ja geradezu seine
letzte, 1913 erschienene zusammenfassende Samm-
lung seiner Gedichte, und an sie auf dichterischem,
an die beiden Essaybände ,,Von Apelles bis
Böcklin und weiter" (Eßlingen, Paul Neff Verlag)
sowie an die monumentale „Geschichte der Kunst
aller Zeiten und Völker" (Leipzig, Bibliographisches
Institut) auf kunstgeschichtlichem Gebiete muß man
sich halten, wenn man das Lebenswerk Woermanns,
von seiner amtlichen Tätigkeit abgesehen, mit weni-
gen Strichen darstellen will.

Die Grundlage, vielleicht sogar die Grundur-
sache für das gesamte literarische Schaffen Woer-
manns ist, wie schon angedeutet, stets die eigene
Anschauung gewesen; und auch Kunstwerken
gegenüber, wie Menschen, wurde diese immer zum
eigenen Erleben. Daher in den Essays wie in der
Kunstgeschichte die frische Unmittelbarkeit des
wiedergegebenen Eindrucks, die Plastik der Schilde-
rung, die Kraft sinnfälliger Verdeutlichung mit
wenigen Worten und zugleich die ruhige Sachlich-
keit, mit der uns der sichere Führer bald in Spezial-
probleme Einblick gewährt, bald auf die großen

636
 
Annotationen