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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Jessen, Jarno: Raffael Schuster-Woldan
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0019

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RAFFAEL SCHUSTER-WOLD AN

auch eine Dosis Makart eingemengt er-
scheint, sein Ideal kommt dem der Gior-
gione und Tizian am nächsten. Merk-
würdige Bilder hat er mit diesem Motiv
als Zentralfigur geschaffen. Gerade in
ihnen glauben wir den Denker am Werk,
der modernen Zeitproblemen nachsinnt.
Die Themen der Mutterschaft, der freien
Liebe scheinen ihn beschäftigt zu haben.
Vor dem „Odi Profanum", der „Legende",
dem „Leben" zwingt er zu solchen Fol-
gerungen, aber auch hier können wir nur
Vermutungen äußern. Der sensible Künstler
entgleitet uns wie Proteus dem Thaies, er
enthüllt nichts Definitives aus seinem Aller-
innersten. Er sagt nichts Letztes, das
der Menschheit eine Lehre mitgeben könnte.
Er will nur die bewegte Seele in For-
men, die er allein begreift, aussprechen,

HELLENISTISCH-ROEMISCH •,, ■ , ■? b • c c-

will anziehen, ergreiten — reine Emptin-
dungskunst. Es liegt nahe, daß man den
bei ihm vor, aber er ist durchaus der Maler Maler, der die „Madonna" schuf und der in
der Frau, Femininität in vornehmster Form ist der „Legende" die törichte Jungfrau neben der
das Thema seiner Kunst. Auch wenn er seine Maria als die Weise erscheinen läßt, ver-
lieblichen Frauenwesen in Duos zu ganz per- wirrend findet, aber das ficht ihn nicht an.
sönlichen Genregruppen vereinigt, weiß er un- Er empfindet sich wohl selbst noch als den
gemein Zartbesaitetes mitzuteilen. Hier ist er Suchenden, und mit seinen dreiundvierzig
der Interpret des beredten Schweigens — das Jahren hat er das beste Mannesschaffen noch
Unbeschreibliche, hier ist es getan. Auf dem vor sich. Jedenfalls ist er mit dem Bilde
Gemälde „An den Pforten der Dämmerung" „Auf freier Höhe" ganz unzweideutig gewesen,
zeigt er zwei junge Mädchen in Halbfigur, die Hier malte er sein Künstlercredo von der
in welliger Ebene bei ausgehendem Licht wie höchsten Schönheit. Sie ist dem Schaffenden
im Banne der Nachdenklichkeit befangen scheinen, beschieden, wenn Natur und Liebesgenuß sich
Auf der Hand der einen glaubt man an einem einen. Der Künstler mit seinem vollendet
Falter die gleiche vibrierende Schwere zu spüren, schönen Modell auf freier Bergeshöhe in itali-
Beim „Abendgang" wiederum zwei jugendliche
Mädchen, aber die Ältere venezianisch kostümiert
und wie in düsterer Leidenschaftlichkeit bewegt,
ohne daß die Begleiterin von dem verschwiegenen
Drama neben sich etwas zu ahnen scheint.
„Im Weh'n des Mittags" steigen die Campagna-
Hügelauf, neben den Weiden bei der verwitterten
Bank ruht der Steinbock, und eine lionardeske
Schöne hat Blüten zum Strauß gesammelt,
während die gretchenhafte Freundin aus einem
Notenbuch singt. Aber die für Schuster-Woldan
typische lethargische Ruhe auch hier. Das
„Sonnet" führt einen Herrn mit ein, der während
des Lustwandeins zwei jungen Damen ein Ge-
dicht vorliest und dadurch poetische Stimmung
verbreitet.

Die ganze Zurückhaltung, das Keusche dieser
im Grunde stark erotisch veranlagten Künstler-
natur wird in seinen Frauenakten am klarsten.
Er verhüllt nicht prüde und hält sich doch
unberührt von allen krassen Deutlichkeiten
unserer naturalistischen Zeit. Er liebt das

schlanke, edle Gliedergefüge, und ob zuweilen griechisch (5. jahrh. v. Chr.)

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