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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Haenel, Erich: Monumentalbilder von Georg Lührig
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0064

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MONUMENTALBILDER VON GEORG LUHRIG

maierei die Lebensluft einigermaßen abgeschnürt
und so allmählich auch der Kunstgattung, die
mit ihr Arm in Arm ging, und die man als
geschichtliche Monumentalmalerei zu bezeichnen
pflegte. Das Recht auf diesen Titel entnahmen
die Schöpfungen dieser Gruppe fast nur der
Tatsache, daß sie Szenen einer geschichtlichen
Vergangenheit oder ideal-symbolisch gefärbten
Irrealität in besonders großem Maßstab und
unter dem Aufgebot von sehr zahlreichen Einzel-
figuren zur Anschauung brachten. Der Gegen-
satz zum Tafelbilde beschränkte sich bei diesen
Werken in der Regel auf einen solchen der
Maße und der Technik. Man hatte vergessen,
daß die wahre Monumentalität ihre Kraft aus
anderen Wurzeln saugt. Durch die Umgebung,
in die es hineingeschaffen ist, wird das Wesen
des Monumentalbildes allein bedingt. Die Mo-
numentalmalerei hat nicht nur die Aufgabe,
einem Künstler Gelegenheit zu geben, daß er
die Gebilde seiner Phantasie in größerer oder
dauernderer Form versinnlicht, als er das mit
dem Pinsel auf einer Leinwand oder Holztafel
vermag, die von einem neutralen Rahmen be-
grenzt ist. Sie ist ihrem innersten Wesen nach
Dienerin, und mehr als das, Gefährtin der
Baukunst. Wie es dieser gegeben ist, ihrer Be-
stimmung als Raumschöpferin gemäß die ganze
unendliche Skala der Empfindungen vom Er-
habenen zum Frivolen, vom Lyrischen zum
Pathetischen, in ihren Werken anklingen zu
lassen, so wird die Monumentalmalerei sich nur
dann zu einem bedeutenden Stil aufschwingen,
wenn sie sich die Wirkungen der Architektur
zu eigen macht, und in ihrer Weise, als Kunst
der Fläche, umbildet, vertieft und erweitert.

So nimmt sie, auf dem einen Wege zur Glie-
derung und Belebung einer bestimmten Fläche,
eben diese als etwas Gebundenes und Unverrück-
bares, das zwischen bestimmten Bauteilen die
Funktion des Begrenzens, des Abschließens hat.
Darnach behandelt sie die Fläche als solche, das
heißt: sie vermeidet in ihrem Bilde die Illusion
des Dreidimensionalen, die Darstellung des
räumlich Vertieften, und betont die Erscheinung
eines Vorganges, der sich in einer Ebene
abspielt, des Frieses oder Reliefs. Die not-
wendige Folge einer solchen Umbildung des
physiologisch bedingten Natureindruckes ist der
Verzicht auf Wiedergabe der realistischen Detail-
form. Ein Vereinfachen des gesamten Formen-
komplexes tritt ein, das Unwesentliche scheidet
aus, die typische Form und Gebärde bleibt
allein bestehen. Und dieser Stilismus wird
nicht nur in der Wiedergabe der menschlichen
Erscheinung wirksam, sondern mehr noch in
derjenigen der Umwelt, des Raumes, der Land-
schaft. So gewinnt die Welt eines derartigen

Monumentalbildes die Akzente einer eigenartigen,
ins Bedeutende gesteigerten Wirklichkeit, und das
Kunstwerk nähert sich der Einheit der künst-
lerischen Weltanschauung, die man mit dem Worte
„Stil" zu bezeichnen pflegt. Daneben ergeben sich,
wie einer der jüngsten Bearbeiter dieses Problemes
es zusammenfaßt, als Kennzeichen des monumen-
talen Stiles einerseits möglichste Festigkeit des
Standes, also Aufruhen auf dem Boden oder Ein-
fügung in ein Bauwerk, andrerseits Geschlossen-
heit der Komposition, damit der Kubus, beim
Werke der Plastik, oder die Fläche so vollkommen
wie möglich ausgefüllt sei. Denn alles, was
über solche Grenzen hinausragt, ist ebenso dem
Untergange geweiht, wie auf der andern Seite
Lücken in dem Gefüge den Zusammenhalt
des Ganzen schädigen, ja gänzlich zerstören
müssen.

Diese Wesensbesonderheiten der Monumental-
malerei ergeben sich nicht aus der ästhetischen
Retorte eines weit- und lebensfremden Dog-
matismus, sondern sie sind die Quintessenz
von Betrachtungen, die ein Rückblick auf den
Werdegang dieser ehrwürdigen Kunstart uns
vermitteln kann. Ein solcher Rückblick lehrt
aber noch ein Weiteres: die Geschichte der
Monumentalmalerei ist eins mit der einer künst-
lerischen Wiedergabe der menschlichen Gestalt.
Wenn der Anblick des Menschen, wie Fechner
einmal sagt, das ausgiebigste und wirksamste
Mittel ist, im Gebiete des Sichtbaren ästhetisch
bedeutsame Gefühle zu wecken, so ist die
menschliche Gestalt für das, was wir mit Recht
monumental gesinnte Kunst nennen, ausschließ-
licher Kern und Mittelpunkt. Von den by-
zantinischen Mosaizisten bis Cimabue, von
Giotto bis Signorelli, von Melozzo bis Michel-
angelo, von Raffael bis zu den Caracci, von
Mantegna bis PaoloVeronese herrscht der Mensch
im Darstellungsreich der Wandmalerei — und
dort, wo sie ihren höchsten Flug tut, der
Mensch in seiner gottgeschaffnen Leibesschön-
heit, der nackte Mensch. Das Studium und
die Versichtbarung des Nackten sind nach Max
Klingers Worten das A und O jeden Stiles.
Nur wer ganz frei vor dem menschlichen
Körper gestanden und gearbeitet hat, kann die
Höhe der Leistung andrer Stilepochen empfinden,
deren Vorstellungsweise in eine Form gepreßt
ist, die Zug um Zug, ohne die Natur zu ver-
lassen, ohne sie kleinlich zu beschnüffeln, sich
neben die Entwicklung ihrer Zeit stellen kann,
sich mit ihrer Höhe mißt, als ihre unverkenn-
bare, unantastbare Verkörperung im sichtbaren
Menschen.

Diese Worte prägen sich dem mit uner-
schütterlicher Kraft ein, der vor die Wandge-
mälde von Georg Lührig tritt. Als im ver-

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