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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Haenel, Erich: Monumentalbilder von Georg Lührig
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0070

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MONUMENTALBILDER VON GEORG LÜHRIG

Wolken dumpflastender Ruhe langsam heran.
Fanfaren von jubelndem Blau, von sieghaft
lachendem Gold verkünden dort den Tag, den
Sieg des Lichtes. Der uralte heilige Vater be-
herrscht diese titanisch beschwingte Welt, an
seinen Knieen steht, mit feierlich ausgebreiteten
Armen, die Kreuzgestalt des Sohnes. Um ihren
Thron lebt eine Gruppe heroischer Gestalten:
Schwerter blitzen in ihren Händen, Flammen
sprühen aus ihren Locken, ihre Augen schießen
Blitze und alle Energien ihrer jugendlichen
Leiber spannen sich zum Kampfe gegen die
Gestalten und Gewalten, die zu den Seiten und
von unten aus Schatten und Erde ihre Bildung
und ihre Gesinnung ziehen. Die Gottheit des
Lichtes streitet gegen die unbeseelte Materie,
der menschheitsalte Kampf des Schöpferisch-
Starken, des Tat-Aufrechten gegen die passive
Bosheit des Müden und Feigen schlägt seine
Schlacht. Wie je und je der Wille des ge-
borenen Herrschers zum Feinde gesetzt ist der
dumpfen Gemeinheit des Untüchtigen, wie der
Adelsmensch keine Gemeinschaft haben darf
mit dem Schattenreich des ewig Beharrenden,
wie das strebende Bemühen das Unzulängliche
überwindet: das verkündet sich uns hier mit
ehernen Lettern in dem Hohen Liede von der
Schönheit und der Kraft des Menschenleibes.
Und über der Schar sieghafter Jünglinge be-
völkert sich der Himmel mit Frauengestalten
in mittleren Lichttönen und Halbschatten:
schwankende Beugung schwebet vorüber,
sehnende Neigung folgt hinüber, und eine
Aureole von Anmut und weicher, sehnsuchts-
voll schwellender Weibeswonne umgibt das
Jehovahaupt des Lichtgottes.

Dem hohen Lied des Tages klingen die
dumpfen Akkorde der Nacht drüben nach.
Dämmerung breitet ihre Flügel, Sehnsucht und
brütende, triebhaft verhüllte Daseinsschwere und
Müdigkeit ducken sich zu Boden. Dort das
Bewußtsein von der Unüberwindlichkeit des
göttlichen Gedankens in aller Straffheit männ-
lichen Willens, hier eine weiche, blutlose Leere,
die Passivität des weiblichen Empfindens.
Um die reife Gestalt der Nacht kauern sich
die Gruppen, die alle Phasen dieses seelischen
Dämmerzustandes versinnlichen, eingebettet in
eine wolkenartige Materie, die unter den Händen,
ja unter den Blicken zu weichen, zu zergehen
droht. Zu den Seiten ballt sich die Schwüle
der Stimmung zu dämonischer Aktion zu-
sammen: mit grausamen Gebärden drängen
sich satanische Figuren in die Reihen der
Schlafenden. Erst weiter unten gewinnt das
Nebelmeer dieser Schattenwelt wieder festeren
Boden: in wenigen, scharf gegliederten Gruppen
sehen wir das Alter, das soziale Elend, Schuld

und Verzweiflung die müden Glieder rühren.
Vergebens versucht hier der Mann das Weib
in der Fülle ihrer Not zu trösten, mit erloschenen
Blicken schauen vergebens welke Greise in die
hoffnungslose Weite. Alle Kraft ist gebrochen,
das Licht des Himmels leuchtet nicht mehr.

Wie von selbst erhebt sich die Sprache
dessen, der diesen mächtigen Kunstwerken mit
dem armen Instrumente des Wortes zu nahen
wagt, zu rhythmisch sich steigerndem Auf-
schwung. Denn was wir an diesen Schöpfungen
bewundern, ist nicht nur das gewaltige zeich-
nerische Können, die unermüdliche Kraft der
Gestaltung und der besonnene Ernst der far-
bigen Durchführung, ist nicht nur der Reich-
tum herrlicher Bewegungsformen und die kon-
zentrierte Gewalt des seelischen Ausdruckes.
Es ist besonders die ganz neue und persönliche
Kunst, mit der hier eine abstrakte Gedanken-
reihe einzig und allein durch das Mittel des
menschlichen Leibes in die erschütterndste
Form umgesetzt ist. Die Ausdrucksfähigkeit
der Körper aufs äußerste zu steigern und
möglichst im Sichtbaren zu erschöpfen, sodaß
die einzelne Geste der Gestalt gleichsam einen
ganzen Lebensinhalt zum Ausdruck bringt, dies
von dem Künstler selbst formulierte Programm
ist hier erfüllt. Alle Handlung, so fordert er,
muß sich in allgemeinen Bewegungen äußern,
damit die Region der Stimmung nicht über-
schritten wird und die des Wortes berührt, wo
dann alles in der Illustration endet.

Der Meister dieser, im echten Fresko aus-
geführten Riesengemälde hat aber noch mehr
erreicht. Der monumentale Gehalt seiner Werke
erschöpft sich nicht in dem Einklänge mit den
konstruktiven und ästhetischen Gesetzen, die
seinem gebauten Räume eigen sind. Nein, das
schwache Gerüst der Architektur bricht wie
Rohr unter dem Druck der wirklichen Architek-
tonik dieser Werke: und wir erleben das selt-
same Schauspiel, daß des Malers starke Faust
erst in den von dem Baukünstler geschaffenen
Raum den Stempel der monumental gesehenen
Form drückt.

Georg Lührig hat sich mit den Dresdner
Fresken in die vorderste Reihe der deutschen
Monumentalmaler gestellt. Die prometheische
Sehnsucht seiner Hand verlangt nur nach dem
Ton, damit sie neue Menschen bilde, zu weinen,
zu leiden, zu genießen und zu freuen sich.
Wir warten der glücklichsten Stunde, die dem
auf der Höhe des Schaffens stehenden Meister
einen neuen, bedeutenden und seiner würdigen
Auftrag schenkt.

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