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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Pazaurek, Gustav Edmund: Unser Bühnenbild und Ernst Stern: eine Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0108

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UNSER BUHNENBILD UND ERNST STERN

,;Diener zweier Herren" von Goldoni und Hof-
mannsthals „Christines Heimreise" mögen hier
genannt sein. Aber gewiß werden bald weitere
Aufgaben in dieser Richtung den Beweis er-
bringen, daß sich auch da unser Theater, das
hier durch typisch schlechte Operettenauf-
führungen verdorben worden ist, mindestens
in gleiche Regionen emporheben läßt, wie im
klassizistischen Milieu.

Zu den Lieblingsstoffen Sterns zählt die
ganze Welt des Orients, was wir bei einem so
ausgesprochen koloristischen Talent ganz nahe-
liegend finden müssen. Die islamitischen Kul-
turen treten uns in Shakespeares „Komödie der
Irrungen" oder in W. v. Scholzs „Vertauschte
Seelen" entgegen, ferner in dem Ballett „Ha-
remsfrau", das für das Palace-Theater von
London geschaffen wurde, oder besonders in
„Kismet" für das Münchener Künstlertheater.
Weitaus am bekanntesten, in vielen Städten
Europas, aber auch in Amerika mit dem größten

SKIZZE ZUM ,,ORPHEUS IN DER UNTERWELT" : HEBE

ERNST STERN

Erfolge aufgeführt ist aber Frecksas-Holländers
Pantomime „Sumurün", die namentlich in Paris
und London in blendender Ausstattung ge-
geben wurde, daher zur Entfaltung der üppig-
sten Künstlerphantasie die beste Gelegenheit
bot. — Und aus dem ostasiatischen Dar-
stellungskreis ist es hauptsächlich „Turandot",
die Stern unglaublich echt und dabei doch
sehr phantasievoll zu verkörpern wußte.

Aber auch, wo die Kostümgeschichte der
freien Phantasie das Feld räumen muß, wie in
Maeterlinks „Der blaue Vogel", bewährt sich
das Können Sterns, der sogar bei einer (nicht
aufgeführten) Mars-Operette nicht in Verlegen-
heit geriet, aufs Beste. Gerade darin liegt auch
seine große Bedeutung. Die staunenswerte
Vielseitigkeit und dasungewöhnlicheEinfühlungs-
vermögen in alle Situationen sollen gewiß nicht
gering angeschlagen werden. Denn wie viele
Inszenierungskünstler haben ebenfalls heute für
die Antike, morgen für das Rokoko, übermorgen
für den Orient zu schaffen; aber sie nehmen
sich die betreffende Kunst- und Kostümge-
schichte her und bleiben im wesentlichen von
ihr abhängig. Nicht so Stern; auch er kennt
die betreffende Literatur, vielleicht besser, als
die meisten anderen, aber er wird nicht ihr
Sklave. Er weiß genau, daß die allgemeine
Stimmung die Hauptsache ist, und daß man
den wissenschaftlichen Vorbildern nur das ent-
lehnen soll, was just in das Milieu paßt. Kleine
feine Züge, auf die andere nicht geachtet
haben, lassen sich ganz gut mit verwenden,
aber ungleich wichtiger als die bis zum letzten
Hosenknopf reichende geschichtliche Treue ist
für die Bühne jedenfalls das künstlerische
Einzel- und Gesamtbild, das die Worte des
Dichters oder die Musik des Tonsetzers in
ihrer Wirkung begleiten, heben und verstärken
soll, ohne sie zu stören oder gar zu er-
drücken. Die „Bühnenoptik" darf die „Bühnen-
akustik" nicht erschlagen wollen; beide müssen
einander vielmehr liebevoll ergänzen und alles
zu einer höheren Einheit zusammenschließen.

Und so ist denn auch Stern keineswegs
lediglich etwa ein Schneider im höheren Sinne.
Zu der Sorge um die Kostüme gesellt sich die
noch größere Sorge um das ganze Bühnen-
bild im Aufbau und in den Kulissen. Hier
zeigt sich unser Künstler womöglich in einem
noch höheren Grade als erfahrener Bühnen-
praktiker. Ob er Fausts Osterspaziergang oder
die Domszene darzustellen hat, ob er uns (im
Don Juan) in eine Rustikasäulenhalle oder auf
eine Galeere führt, ob er — in Turandot —
bunte Riesenvorhänge mit chinesischen Drachen
oder Phantasieschmetterlingen zum Hintergrunde
wählt oder ob er — wie im „Othello" den

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