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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Wintzer, Richard: Mein erster und mein letzter Besuch bei Menzel
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0247

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MEIN ERSTER UND MEIN LETZTER BESUCH BEI MENZEL

schweigt. Ich suche ihm den Zweck meines
Besuches darzustellen. Er aber bemerkt die
Alte zu meiner Linken und starrt sie unentwegt
an. Die wagt nicht zu sprechen. Endlich breche
ich das Schweigen und betone ihm, wie viel
mir an einem kurzen Aufenthalt in seinem Hei-
ligtum läge, ich wolle seinen Namen an die
Spitze meiner „Atelierbesuche" stellen u. s. w.
— Doch nichts kann ihn erweichen, schweigend
mustert er noch immer die Züge der hastig
atmenden Frau, und ich bin überzeugt, daß ihm
diese im Moment ein unübertreffliches Objekt
der Beobachtung dünkt. — Da — löst sich
ihm die Zunge — und ich erfahre zu meinem
Schrecken, daß er — niemanden einzulassen
beabsichtigt!

„Sagen Sie den Leuten, mein Atelier wäre

MES^INGDOSE. Vom Nürnberger Wettbewerb des Verbandes
jetziger und ehemaliger Studierender an deutschen Kunstgewerbe-
schulen WILLY HASSLER-NUERNBERG

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sehr uninteressant und so in Unordnung, daß es
keinen Zweck hätte, es zu besichtigen, es ist
nichts von Wichtigkeit darin."

Vergebens suche ich ihn zu bestimmen, von
seiner Gewohnheit, niemanden zu empfangen,
einmal abzuweichen, — umsonst! Immerfort
das Gesicht der Alten studierend, poltert er end-
lich ziemlich barsch heraus:

„Sagen Sie nur den Leuten, hier wäre nichts!!"

Da der Gewaltige noch immer seine Blicke
auf die alte Frau gerichtet hält, ohne an mir
— und wenn auch nur als Modell — den ge-
ringsten Gefaller zu finden, ziehe ich vor, durch
einen freiwilligen Abschied einem womöglich un-
freiwilligen zu entgehen, und verneige mich ehr-
erbietigst, ohne damit auf seinen Widerstand zu
stoßen.

Unterwegs denke ich darüber nach, zum wie-
vielten male wohl heute schon der „kleine"
große Mann beim Rückgang zu seinem Atelier
die Worte Caesars nachempfunden haben mag:
„Veni, vidi — vici!" Ich aber, als moderner
Pharnakes, ziehe weiter, um eine neue „Schlacht"
zu wagen, in der es mir dann aber besser er-
gehen soll, als dem Besiegten von Zela!

Wie anders der letzte Besuch!

Am 9. Februar 1905 steige ich wieder
diesmal in trübster Stimmung — die vier Treppen
hinauf.

Mit einer Empfehlungskarte von Reinhold
Begas an die Schwester Menzels bedacht, werde
ich in das Sterbezimmer eingelassen, um den
verewigten Meister auf dem Totenbett zu zeichnen.

t Da liegt er nun, still — und zum erstenmal
untätig — dieser rastlos Schaffende, seine Hände
ruhen aus von unerhörten Taten.

Ich aber muß während der flüchtigen Minuten,
in denen ich die teuren Züge festzuhalten habe,
jenes ersten Begegnens gedenken und kann mich
eines Gefühls nicht erwehren, als müsse der tote
Meister plötzlich wie zur Abwehr die Hand er-
heben und mir ähnliche Worte zurufen, wie da-
mals vor seiner Ateliertür.

Befreit — wie von einem Druck — verlasse
ich, da der letzte Strich getan, die geweihte
Stätte; mir ist, als dürfte ich nicht länger weilen,
dort, wo ich nicht gebeten war. —

Das Bild aber des schlummernden Unsterb-
lichen verläßt mich nicht, wie ein Svmbol des
von höherer Gewalt zur Ruhe Gezwungenen
umschwebt es mich......

Richard Wintzer.
 
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